Alles bleibt anders! Michi Jung über die Corona-Business-Achterbahn

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Rockt die Branche: Michi Jung
Foto: Christian Barz
Rockt die Branche: Michi Jung

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1 Monat, 28 Tage, 672 Stunden. Seit der Salonöffnung hat die Friseurbranche eine neue Zeitrechnung. Aber stimmt das wirklich? FMFM hat den Hamburger Friseurunternehmer und (Meinungs-)Macher Michi Jung gefragt: Wie sieht deine Zwischenbilanz im Corona-Rollercoaster aus? Was kann bleiben, was muss weg?

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Michi, was war Dein größtes Learning in der Corona-Krise – als Unternehmer und auch privat?

Es ist ja bekannt, dass ich über ein recht gesundes Selbstbewusstsein verfüge;-) Aber in den letzten Monaten bin ich tatsächlich ein wenig demütig geworden! Corona hat mir gezeigt, welch kleine Miniteilchen im Ganzen wir alle sind und wie wenig wir tatsächlich beeinflussen können. Die letzten Monate waren eine echte Gefühlsachterbahn: Grundsätzlich bin ich jemand, der viel im Voraus denkt und plant, um die Energie hochzuhalten und mich zu strukturieren – das alles fiel ja erst mal flach. Da wurde es klarer denn je, wie unfassbar wichtig Familie, gute Buddies und ein loyales Team sind, auf die ich mich verlassen kann. Als Chef habe ich erlebt, wie elementar wichtig klare Kommunikation vor allem in Krisenzeiten ist, z.B. was die eindeutige Verteilung von Aufgaben angeht. Wenn alle Strukturen wegbrechen, kommt allein mit Eigenverantwortung bei Mitarbeitern nicht viel rum. Es braucht Halt und Führung.

Gab es auch etwas, was Dich positiv überrascht hat?

Absolut! Mein Team ist derzeit total flexibel, was die Arbeitszeiten angeht! Früher wollten am liebsten alle eine 4-Tage-Woche. Jetzt haben wir Montag bis Samstag von 8-22 Uhr geöffnet und arbeiten in zwei Schichten. Ohne murren und mucken ist jetzt jeder 37 statt 40 Stunden an 6 statt früher 5 Tagen im Salon – und alle finden das cool. Das frühe Anfangen am Morgen war sonst immer das Schlimmste überhaupt. Auch das läuft derzeit völlig rund. Stand jetzt: Am liebsten wollen meine Mitarbeiter diese Arbeitszeiten beibehalten. Keine Ahnung, warum das so ist. Frag mich in einem halben Jahr noch mal, ob das so bleibt… Was mich auch ganz besonders gefreut hat: Mein Team hat für mich während er Schließung ein geiles Lied getextet, komponiert und eingespielt. Das war für mich eine richtig emotionale Sache.

Viel Nähe trotz Distanz

Du hast während der Schließungszeit der Salons täglich deine „Facebook-Gemeinde“ mit Videos inspiriert und mental auf Trab gehalten. Wie war das für dich?

Ich bin ja sonst als Coach oder Trainer Face-to-Face-Situationen gewohnt. Die leben von der Gestik und Mimik. Wenn du vor einer Gruppe stehst, bekommst du sofort mit, ob dein Humor ankommt oder nicht. Bei Webinaren fehlt diese unmittelbare Rückmeldung zunächst; es gibt vielleicht mal Kommentare oder so. Aber ich habe gemerkt, was für eine echte Bereicherung die Digitalisierung ist und welche neuen Möglichkeiten sie bietet. Der Kontakt zu den Teilnehmern ist ein völlig anderer. Auf eine Art auch inniger. Es ist unglaublich, wie viele persönliche Rückmeldungen ich von Kollegen auf die Videos bekommen habe. Die schreiben oder rufen an und erzählen, was sie in den Salons erleben. Da gibt es z.B. Chefs, die keine Masken und Reinigungsmittel bezahlen – die müssen Mitarbeiter selbst besorgen. Die haben regelrecht Angst um ihre Gesundheit. Du erfährst auch krasse Schicksalsschläge. Diesen engen Austausch erlebe ich bei normalen Seminaren sonst nicht. Aber es ist natürlich auch eine extreme Situation für uns alle: viele von uns sind aus der Komfortzone geschmissen und müssen was ändern.

Was kann sich denn durch Corona in der Branche zum Besseren ändern?

Na ja, ich bin erstaunt, wenn ich von Kollegen höre: „Ich habe in den ersten ein bis zwei Wochen nach Öffnung solche Bombenumsätze gemacht, dass ich die zweite Monatshälfte theoretisch frei machen könnte.“ Da frage ich mich, wie das bei denen vorher lief? In der Schließzeit habe ich auf Rücklagen zugreifen können, die ich als Unternehmer vorher eingefahren hatte. Zugegeben: Ich habe ich vor Corona auch lieber die Sonnenseiten geplant, aber unternehmerisch vorgesorgt wurde trotzdem. Jetzt haben wir alle gespürt, dass wir uns zwingend Gedanken darüber machen müssen, was ist, wenn es mal nicht so gut läuft! Ich sehe daher in der Branche insgesamt noch viel Luft nach oben, wenn es darum geht seinen eigenen Mehrwert, seine Strategie und sein Konzept klar zu benennen und umzusetzen.

JETZT die Branche attraktiv machen

Die Kunden rennen Friseuren derzeit die Läden ein. Warum ist das trotzdem wichtig?

Wir erleben derzeit eine große Wertschätzung unserer Kunden. Aber die wird nicht ewig bleiben. Wenn wir eine Preisanpassung von 10% machen, müssen unsere Kunden einen Mehrwert haben. Sie müssen ihn spüren und erleben. Das ist meine unternehmerische Aufgabe, den deutlich zu kommunizieren und Marketing zu machen. Sonst kippt die Stimmung schnell wieder. Es braucht Struktur. Ein Beispiel: Wenn ich mir auf Facebook die Profile vieler Friseure anschaue, erfahre ich dort nicht mal, dass sie Friseure sind. Das ist doch der Hammer! Ich muss meinen Kunden in zwei Sätzen sagen können, warum sie zu mir und nicht zum Kollegen nebenan gehen sollen. Sonst gehen sie zum nächstgelegenen Friseur, zum billigsten Friseur oder wo auch immer hin…

Ist die neue Wertschätzung der Kunden nicht auch eine tolle Nachwuchs-Werbung für den Friseurberuf an sich?

Das hängt davon ab, ob es gelingt, ihn auch attraktiv zu halten. Frage ich eine Kundin, ob sie ihre Tochter darin unterstützen würde, wenn die Friseurin lernen möchte, höre ich in der Regel Antworten wie: „Ich würde ihr sagen, wie anstrengend der Beruf ist und dass man wenig verdient.“ Dabei ist es gar nicht überall so! Aber genau DAS ist unsere große Aufgabe: Das Image des Friseurberufs muss branchenweit besser werden! Dazu braucht es vernünftige Kalkulationen der Unternehmer, gute Provisionsmodelle, motivierte Teams, gezielte Kundengewinnung etc. Nur wenn diese Koordinaten stimmen, kann ich Mitarbeitern ein Basisgehalt von 2.000 bis 2.500 Euro zahlen und dabei noch Rücklagen bilden. Vielen Kollegen scheint das erst jetzt – durch Corona – bewusst zu werden. Ich kriege als Business-Coach momentan so viele Anfragen und E-Mails wie nie zuvor. Das ist gut so: Wir müssen alle aktiv werden! Derzeit plane ich eine Image-Kampagne mit Videos von 10 Kollegen aus der Branche, die allesamt gute Gehälter zahlen. Das Ganze spielen wir auf Facebook und Insta, damit der Nachwuchs mal sehen kann, welche Chancen diese wunderbare Branche bietet. Unser Spruch ist: „Als Friseur bist du ein Held und verdienst einen Arsch voll Geld!“

Du willst Michi Jung kontaktieren? Dann schreib ihm über Facebook oder schick eine E-Mail an [email protected]