Ausbilden oder nicht? Zwischen Hochgefühl und Bauchweh

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Setzt und erfährt eigene Grenzen: Katrin Cannington als Ausbilderin
Setzt und erfährt eigene Grenzen: Katrin Cannington als Ausbilderin

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Ausbilden – ja oder nein? Selten war das Ringen um diese Frage so zäh wie derzeit. Für viele Friseurunternehmer sind Corona-Bitch und ihre Folgen der Auslöser, zumindest für einige Zeit die Schulsegel zu streichen. Nicht so für Katrin Cannington. Die Herzblut-Friseurin steht vielmehr vor der persönlichsten aller Fragen: „Soll ich es wieder wagen auszubilden, auch wenn die Chance besteht, wieder enttäuscht zu werden? In ihrer berührenden Kolumne erzählt Katrin über ihre tiefe friseurige Leidenschaft, die bisweilen auch Leiden schafft.

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„Katrin you are so lucky, you are doing what you really love!“ hat mein neuseeländischer Mann zu mir gesagt. Und es stimmt. Ich liebe meinen Beruf sehr und ich lebe meinen Traum. Jeden Tag. Schon aus diesem Grund beschäftigt mich die Frage, ob ich in diesem Sommer wieder ausbilden möchte oder nicht. Und prompt spüre ich wieder diese Zerrissenheit. Da ist dieses absolute Hochgefühl: Ich sehe die Übungsabende mit Modellen, die farbenfrohen Übungsköpfe und die lustigen Locken- und Dauerwellwickler schon vor mir. Innerlich freue ich mich so sehr darauf, alles wieder theoretisch und praktisch auseinanderzunehmen. Ich hatte immer große Freude daran, jungen Menschen mein Handwerk zu erklären und sie mit dem Haarvirus zu infizieren. Ich selbst konnte dann wieder soviel lernen und Dinge auffrischen. Zugegeben: teils hatte ich mehr Freude als meine Auszubildenden. Ich liebte es, die Berichtshefte zu füllen (hatte mir sogar ein eigenes Heft gekauft). Kurz: ich sehe die schönen Seiten der Ausbildung und mein Herz schreit: „JAAAAA, bilde aus!!!“

Ansprüche & Wirklichkeit

Und dann ist da die andere, deutlich schattigere Seite. Denn eine Ausbildung erfordert viel Disziplin. Damit meine ich nicht nur die Disziplin des jungen Menschen; auch ich brauche viel Disziplin. Also, ich bin anders, ich bin ein menschlich emotionaler Künstler. Mein Anspruch ist: glücklich sollen alle sein, Spaß sollen alle haben und tolle Arbeiten möchte ich sehen. Und genau hier kommt das Bauchweh, weil ich weiß: das geht nicht. Ich darf nicht der Kumpel in der Ausbildung sein. Das hat bis jetzt NIE funktioniert. Eine Ausbildung ist viel mehr als Spaß zu haben und Wissen weiterzugeben. Es braucht Regeln und Grenzen. Es braucht Geduld. Meine Erfahrung ist: den Azubi, den ich mir immer wünschte, gibt es nicht. Und ganz ehrlich: nach zwei Jahren Soloselbstständigkeit habe ich gelernt: die Ausbilderin, die ich mir immer wünschte zu sein, gibt es ebenfalls nicht!

Die Liebe lernen

Die Frage ist doch: Schaffe ich es diesmal? Bislang habe ich noch keine/n gefunden, der oder die von der Ausdauer und den charakterlichen Eigenschaften zu mir passte. Oft hatte ich hohe Erwartungen, oft wurde ich enttäuscht. Vielleicht weil ich selbst so ganz anders bin als viele Auszubildende, die ich traf: Ich habe im Job schon immer mehr gegeben, als von mir gefordert wurde – das war bereits während meiner Ausbildung so. Und auch wenn ich intellektuell weiß, dass dieses Brennen für das Handwerk nicht selbstverständlich ist, prägt es doch meinen Blick auf die Dinge. Wenn ich ausbilde, gehe ich mit hohen Ansprüchen an die Sache, weil mir Ausbildung wichtig ist. Diese Erwartungen gelten für mich selbst und für meinen Azubi. Aber vermutlich ist genau das der Punkt: Ich bin so emotional, und vielleicht führte ich meine bzw. unsere Ausbildungszeit selbst in eine Enttäuschung, weil ich so unheimlich passioniert bin. Ein junger Mensch kann das vielleicht noch gar nicht so in dem Ausmaß teilen, weil sich diese tiefe Leidenschaft zu diesem wundervollen Beruf erst entwickeln muss. Ach, es ist so schwierig zu beschreiben.

Geduld & Regeln

Mein Plan steht jedenfalls. Entscheide ich mich für Ausbildung, muss ich an meiner Geduld und meinen eigenen Eigenschaften arbeiten, da es keinen perfekten Azubi gibt. Ich habe es in der Hand. Ich entscheide, ich wähle, ich setze die Grenzen und ich erwarte nichts. Ich entscheide zu geben und zu investieren. Ich bestimme meine Spielregeln. Ich erwarte keine Dankbarkeit und kein Verständnis. Aber ich wähle den Menschen, den ich bestenfalls die nächsten drei Jahre begleite. Ob das geht? Ob ich meine menschliche Emotionalität ausschalten kann? Ob ich Enttäuschung, Wut und Ärger im Griff behalten werde? Gelingt es mir, meinen Perfektionismus, den ich mir täglich selbst abverlange, zurückzuhalten? Ich weiß es (noch) nicht.

Eine Bewerbung ist jedenfalls da. Große Auswahl gibt es heutzutage nicht mehr. Dieser Mensch ist sympathisch und sehr nett. Und ich weiß: Ich möchte ein kleiner Teil seiner Reise sein. Erst wenn ich es wage, weiß ich, ob ich bereit dafür und jetzt (endlich) die Richtige bin.

 

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