Kundennähe? JA! Aber ohne sich selbst zu verlieren!

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Foto: Shutterstock / Fotovika
Herz oder Hirn? Am besten beides!
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Herz oder Hirn? Am besten beides!

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Echte Kundennähe ist ein Geschenk. Und doch: sie schlaucht auf Dauer! Viele Kunden geben eigene Sorgen, Probleme oder Ängste ungefiltert an ihre/n Lieblingsfriseur/-in weiter. Und ihr könnt dann sehen, wohin damit. „Friseure können einen psychologischen Neoprenanzug gut gebrauchen!“, ist Dr. Bernd Ahrens, Neurowissenschaftler, Psychiater und Privatdozent, überzeugt. In Seminaren vermittelt der in Berlin und Lübeck tätige Arzt Tools und Techniken, die Friseuren qualitativen Austausch mit Kunden und gleichzeitigen Selbstschutz möglich machen.

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Bernd, du hast kürzlich das Seminar „Mehr Kompetenz in Empathie“ für Friseure – genauer gesagt, für eine Gruppe der Barber Angels – gemeinsam mit BA-Gründer Claus Niedermaier – durchgeführt. Warum brauchen Friseure Schulung in Empathie?

Wie viele andere Berufe, die ganz nah am Menschen arbeiten, sind Friseure auch Kunden ausgesetzt, die ein starkes Nähebedürfnis haben. Die Barber Angels in ihrer Arbeit mit Obdachlosen im Besonderen. Manche dieser ehrenamtlich engagierten Friseure sind nach Einsätzen völlig erschöpft von dem ganzen Elend. Aber auch der „normale“ Salonalltag strotzt vor Herausforderungen. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen wir viel Hass, starke Isolation, zunehmende Einsamkeit und eine Verrohung der Sprache erleben, suchen viele Menschen mehr denn je die Nähe zu anderen. Manche gehen allein für soziale Interaktion zum Hausarzt oder rufen täglich bei der Telefonseelsorge an, um sich einige Minuten auszutauschen. Andere gehen zu ihrem Friseur. Und das Bedürfnis von immer mehr Menschen, tatsächlich berührt werden zu wollen, geht weit über den Bedarf eines Haarschnitts hinaus. Genau an dieser Stelle wird es anstrengend für den Friseur am Stuhl: Denn wenn mir Kunden 20mal am Tag ihr Herz ausschütten, wie geht es mir dann selbst am Abend?

Verstehen & Abgrenzen

Dr. Bernd Ahrens, Psychiater und Neurowissenschaftler Dr. Bernd Ahrens, Psychiater und Neurowissenschaftler

Man sagt ja landläufig, dass Friseure selbst halbe Psychologen seien..

Genau das ist der Punkt: Nein, das sind sie nicht! Denn Psychologen, Psychiater und Coaches lernen bereits während ihrer Ausbildung – und das ist ein enorm wichtiger Punkt – Techniken der Gesprächsführung, Techniken der Selbststeuerung und Abgrenzung. Sonst könnten wir diesen Job gar nicht machen! Derartige Techniken und Tools sind meines Wissens jedoch kein Bestandteil der Friseurausbildung. Dabei wäre das bitter nötig! Und dort setzen wir in unserem Seminar für Friseure an, weil ich weiß: Resilienz, also psychische Widerstandskraft, und die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, ist lehr- und lernbar.

 

Was genau wird für Friseure mit diesen Techniken im Salonalltag anders?

In einem Friseursalon wird sehr viel kommuniziert. Über alles, was auch nur entfernt menschelt, also Themen wie Verlust, Geburt, Tod, Geld, Ungerechtigkeit und Zukunftsängste. Warum soll man den Umgang mit diesen Themen nicht so professionalisieren, dass es beiden – Friseur und Kunden – nach dem Gespräch besser geht? Kundinnen und Kunden kommen heute häufig in die Salons, um Nähe und mehr Menschlichkeit zu spüren. Das neue Styling ist nur ein Beweggrund. Ungefähr 50% der Kundenbindung sind Handwerk. Der Rest ist zwischenmenschlicher Austausch. Ein Sich-Einlassen auf den Kunden, ein Verstehen „Was brauchst und möchtest du wirklich? Wer bist du?“ Es gibt basale Möglichkeiten für Friseure, dichter, unterstützender und empathischer am Menschen zu sein – und das mit gleichzeitiger professioneller Distanz. Denn nur dann fällt ihnen diese Nähe nicht irgendwann in Form eigener Erschöpfung auf die Füße.

Techniken sind lernbar

Wem würdest du ein solches Empathie-Werkzeug-Seminar empfehlen?

Viele Friseure, die ich kennenlernen durfte, halten sich für empathisch – und sie sind es vielleicht auch. Aber Empathie oder nur zuhören allein reichen nicht aus, wenn eine wirklich anspruchsvolle Friseur-Kunden-Beziehung professionell sein soll. Sie ist eine Grundlage, sicher. Gutes zu wollen heißt jedoch nicht, dass das gut Gemeinte auch beim Anderen so ankommt. Oder einem selbst gut tut. Daher ist es mein Ziel, auf der Basis eines 12 Säulen-Modells und verschiedenen Techniken die psychische Widerstandskraft (Resilienz) derer zu stärken, die eng mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Es handelt sich dabei übrigens um ein Konzept aus „Soft Skills“, die die WHO, also die Weltgesundheitsorganisation, als Grundlage für mentale Gesundheit entwickelt hat. Das umfasst Themen wie Teamfähigkeit und Stressbewältigung ebenso wie Sinnhaftigkeit und Selbstwert.

 

Also bedeutet es letztlich, dass ich als Friseur ein gesundes (Mit-) Gefühl für Kunden und auch für mich selbst entwickeln lerne? Hast du ein konkretes Beispiel?

Ja sicher. Es geht darum, trotz einer besonderen Nähe selbst weniger psychologischen Stress zu haben. Wir haben zum Beispiel an der Frage gearbeitet: Wie sage ich überhaupt NEIN? Letztlich ist es doch so, dass viele von uns JEIN oder JA sagen, wenn sie eigentlich NEIN sagen wollen oder müssten. Das gilt für den familiären und beruflichen Kontext. Mit dem NEIN-Sagen haben viele Schwierigkeiten. Doch das lässt sich mit speziellen Handlungsanleitungen trainieren. Eine davon lautet beispielsweise: Ein JA, das sich falsch anfühlt, lässt sich innerhalb von 24 Stunden recht einfach in ein NEIN umwandeln. Dazu gehen wir individuell Situationen und Formulierungen dazu durch. Fragt das Gegenüber jetzt, nachdem ich NEIN gesagt habe, immer noch nach dem WARUM, beschließen wir das Thema mit dem Satz „Weil ich mich damit nicht wohlfühle. Isso – Punkt.“  Keine nervende Rechtfertigung mehr, keine weitere Erklärung. Das bedeutet also: NEIN-Sagen ist eine Technik und die ist erlernbar. Dafür muss man kein Psychologe sein. Dank dieser Strategie ist für viele Teilnehmer der Alltag bereits deutlich stressreduziert, so die Rückmeldung der Teilnehmer.

 

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Bernd Ahrens.

Ich danke dir, liebe Simone Frieb.