Oliver Schmidt: „Preiserhöhungen allein werden uns nicht retten!“

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Preise erhöhen? Ja! Aber wofür sind Kunden bereit, mehr zu bezahlen?
O. Schmidt
Preise erhöhen? Ja! Aber wofür sind Kunden bereit, mehr zu bezahlen?

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Hilfe! Baustellen ohne Ende machen Friseurunternehmern derzeit das Leben schwer. Ein zentrales Thema: die Preis- und Kostenstruktur. Oliver Schmidt spricht bei uns darüber, warum klassische Preiserhöhungen 2022 bei Weitem nicht ausreichen werden, um das Überleben von Salons zu sichern. Und er macht Lösungsvorschläge, was es künftig braucht, um als Unternehmer*in erfolgreich zu sein.

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Wenn wir Friseur*innen uns einer Sache sicher sein können, dann, dass momentan jeden Tag ein anderes Problem um die Ecke kommt, das uns vor eine neue Herausforderung stellt. Eine wirkliche Konstante in dieser Gemengelage ist allein die stetige Kostensteigerung! Für mich als Salonunternehmer ist schon jetzt klar, dass eine standardmäßige Preiserhöhung um xy % unser vordringlichstes Branchenproblem auch 2022 nicht lösen wird. Zumal viel zu viele Friseur*innen ihre jetzigen Preise schon jetzt nicht an ihrer tatsächlichen Kostenstruktur kalkulieren, sondern eher Pi mal Daumen. Aber das ist ein anderes Thema.

Besuchsfrequenz sinkt

Was ist also zu tun? Zunächst macht es Sinn, sich die Lage einmal genauer anzuschauen und die Ursachen der misslichen Gesamtlage zu analysieren. Klar ist, dass die Kosten für Mieten, Löhne, Strom und Co. rasant steigen. Gleichzeitig gehen bei vielen Friseuren die Umsätze zurück. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Die leidige Schwarzarbeit wurde und wird durch Corona weiter befeuert. Viele (ehemalige) Salonkund*innen weichen auf die befreundete Friseurin aus, die abends kurz nach Hause kommt und gleich der ganzen Familie die Haare schneidet. Viel entscheidender sind aus meiner Sicht jedoch die Verbraucher*innen, die immer seltener im Vier- oder Sechs-Wochen-Rhythmus zu uns kommen. Meist Frauen, denen es aus modischer Sicht gleichgültig ist, ob der Schnitt nach vier oder zehn Wochen nachgeschnitten oder der Ansatz nach zwei, drei oder fünf Zentimetern nachgefärbt wird.

Neue Dienstleistungen sind gefragt

Die Frage lautet also: Wie können wir bei und mit diesen Kund*innen Wachstum generieren? Preiserhöhungen allein können da jedenfalls nicht die Lösung sein. Für diegleiche Leistung in regelmäßigen Abständen mehr und mehr zu bezahlen – da werden die verbliebenen Kunden nicht mitspielen. Für mich liegt der Schlüssel darin, neue Dienstleistungen zu kreieren, die neue Preise mit sich bringen. Wir sind jetzt mehr denn je gefragt, lösungsorientiert zu denken. Was das heißt, verdeutlicht ein schönes Beispiel aus der Kosmetiklandschaft. Als vor einigen Jahren der rote Lippenstift dem Trend zu mehr Natürlichkeit wich, stürzte das die Make-up-Industrie keineswegs in eine Krise. Nein, sie erfand kurzerhand den Nude-Look! Und flutete den Markt mit einer wahnsinnigen Palette an Produkten, die Frau darin unterstützt, besonders natürlich auszusehen und die Natur zu veredeln. Bis heute dreht sich das Rad um die sogenannten Nude-Produkte enorm. Das nenne ich einen Geniestreich!

Was wünscht sich die Kundin?

Was heißt das übertragen auf unsere Friseurbranche? Ja klar, die Kund*innen kommen seltener in die Salons. Das ist so. Aber schauen wir doch mal durch die Kundenbrille, statt nur um unseren (Friseur-)Bauchnabel zu kreisen und die sinkenden Besuchsfrequenzen zu betrauern. An dem veränderten Kund*innenverhalten lässt sich doch auch eine Menge neuer Bedürfnisse ablesen! Auf diese sollten wir uns konzentrieren und Lösungen suchen, das heißt Dienstleistungen kreieren, die diesen Kundenwünschen gerecht werden.

Was sind diese neuen Bedürfnisse?

1. Natürlichkeit – Kund*innen möchten heute nicht mehr zu gestylt aussehen. Ihr Look soll natürlich und ungemacht aussehen.

2. Personality – Kund*innen möchten sich gesehen und abgeholt fühlen. Sie wollen sie selbst und keine Kopie von jemand anderem sein. Ihr persönlicher Look soll ihre Individualität ausdrücken.

3. Care – Sich um sich kümmern, sich pflegen und „erhalten“ ist wichtiger, als sich zu verändern.

4. Pro-Aging – Das zwanghafte Anti-Aging wird durch das neue Pro-Aging abgelöst. Der Wunsch ist, dem eigenen Alter entsprechend natürlich, gepflegt und gut auszusehen.

Wem es als Friseurunternehmer*in gelingt, passend zu diesen neuen Kundenbedürfnissen Dienstleistungen im Salon anzubieten, wird zukünftig erfolgreich sein! Patentrezepte gibt es da aus meiner Sicht nicht. Jede Saloninhaber*in muss sich anhand ihres eigenen Konzepts und ihrer Kundenklientel fragen, mit welchem Angebot sie ideale Partner*in für das neue Beautyideal der jeweiligen Gäste ist. Nur wenn die Dienstleistung dem Zeitgeist dieser Kund*innen entspricht und sie erreicht, werden sie über den tatsächlichen Bedarf hinaus in unsere Salons kommen – und dann gern. Denn trotz der gesunkenen Besuchshäufigkeiten stelle ich doch fest: Kund*innen kommen vielleicht nicht mehr durchschnittlich sieben- oder achtmal im Jahr, sondern vereinbaren nur noch vier bis fünf Friseurtermine. Dafür sind sie, wenn sie kommen, durchaus zahlungswillig und buchen aufwändige Behandlungen. Vorausgesetzt das Angebot stimmt. Am Preis scheitert es dann nicht.

Neues Wording, neue Preise

So individuell jede Saloninhaber*in jetzt für sich und das jeweilige Geschäft planen muss, gibt es doch bereits ein paar konkrete Beispiele, die vielversprechend und bereits erfolgreich sind. In unseren Salons bieten wir zum Beispiel Kundinnen, die sich bei der Farbe – gemäß dem Trend Pro-Aging – in Richtung Naturgrau bewegen möchten, die neue Dienstleistung „Color Melange“ an. Hier färben wir den Ansatz, lassen allerdings immer ein Passée frei und ziehen das nächste wieder durch. So entsteht ein melangierender Farbeffekt, der dem Bedürfnis der Kundin nach mehr Natürlichkeit nachkommt. Dieser neue Begriff „Color Melange“ statt „Strähnen“ erlaubt mir eine völlig neue Preisgestaltung, weil diese Dienstleistung weder von der Technik noch vom Ergebnis her mit klassischen Strähnen vergleichbar ist. Zudem drückt sich im Namen der Dienstleistung „Melange“ bereits aus, dass ich ihrem Wunsch nach mehr Grauanteil nachkomme. Das wäre völlig anders, hätte ich nur von „Strähnen“ gesprochen. Diesem Prinzip des zeitgemäßen Serviceangebots folgt auch mein Kollege Ramin Dell mit seinem Grauhaar-Service „Argent Royal“. Oder Frank Brormann, der statt des klassischen Haarschnitts das Haarschneideerlebnis „Calligraphy Cut“ anbietet.

Dies alles sind Beispiele für die kreative Entwicklung zeitgemäßer, exklusiver Dienstleistungen und damit verbundener Wortfindungen, für die unsere Kund*innen gern zu uns kommen. Und für die er oder sie gern einen angemessenen Preis bezahlen. Weil alle sich in ihren Wünschen und Lifestyles wahr- und ernstgenommen fühlen. Liebe Friseur*innen: lasst uns spielerischer und mit viel Neugier in die Zukunft gehen. Wenn wir unsere Gäste glücklich machen, ist der Preis gar nicht mehr so das Thema.

Herzlichst, Oliver Schmidt