„Schorem“: Mehr als Bullshit, F..k & Rock’n Roll

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Zwei aus einem Holz: Leen & Bertus von Schorem Haarsnijder En Barbier
Zwei aus einem Holz: Leen & Bertus von Schorem Haarsnijder En Barbier

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Das Phänomen „Schorem“: Ihr Image ist das der bad boys. Wer sonst nennt seinen Laden „Arschlöcher“, seine Produktlinie „Schweineschmalz“ und lötet sich auf der Show-Bühne vor Publikum kannenweise Bier rein? Die Frage, was die Rotterdamer Szene-Barber anders machen als alle anderen, ist leicht beantwortet: so ziemlich alles. Und das erfolgreich. Simone Frieb traf die beiden Rampensäue zum Interview. Und zeigt sich wahrlich entzückt.

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Die kommen eh nicht. Wer am Abend vorher sich, das Barber-Leben, die Show-Bühne und weiß-der-Henker-was-noch-alles so ausgiebig feucht feiert wie die Jungs von „Schorem“, wird wohl kaum um 10.30 Uhr zum Interview da sein. Haste gedacht! Bertus und Leen erscheinen (fast) auf die Minute pünktlich und bester Laune zu unserer Verabredung in Düsseldorf. Lässig gestylt, zugewandt und ausnehmend höflich.

Ich bin neugierig, wer sich hinter dem Phänomen „Schorem“ verbirgt. Klar, dass die beiden mit ihrem Rotterdamer Laden als „Mutter aller Barbershops“ gelten, ist bekannt. Wer sich allein ihr Facebook-Profil oder ihre Filme auf Youtube ansieht, kann aber in etwa einschätzen, dass die beiden Barber Bertus und Leen nicht gerade Mainstream sind. In keiner Hinsicht. Wild geben sie sich – besonders Bertus, der als bunt tätowierter Rockstar mit einem Faible für Kaltschale statt aufgesetzter Freundlichkeit das derbe Repertoire von „fucking“ bis „bullshit“ aus dem Effeff beherrscht. Aber die beiden sind eben noch mehr als das. Sie sind faszinierende Handwerker, deren Barbershop „Schorem“ bis ins Detail und punktgenau durchdesignt ist. Ein Erfolgskonzept, zu dem Männer ohne Termin kommen und bis zu 6 Stunden Wartezeit in Kauf nehmen, um sich dann einen der 10 Looks rauszusuchen, die die beiden dort anbieten. Auf einem Plakat sind die Haarschnitte abgebildet, im besten Retro-Style. Wer Trends will, ist hier falsch. Wer Cappuccino will, ebenfalls. Filterkaffee bieten sie an. Der allerdings ist allererste Sahne. Die beiden Jungs von „Schorem“ sind überzeugt: Männer wollen genau das. Orientierung. Kein Chichi. Dafür vom Wenigen das Beste.

„Im vergangenen Jahr wurde bei google erstmals häufiger nach Männerpflege gesucht als nach Damenpflege.“ Bertus

Für Bertus ist es daher klar, warum das Thema Barber ein nicht aufzuhaltendes Erfolgsmodell ist: „Letztlich sind 80% der Männer Barber-Klientel: die wollen einfach gut aussehen, ohne viel zu machen. Aber dieser Markt wurde bis vor wenigen Jahren einfach nicht bedient. Der Durchschnittskerl wusste doch gar nicht, wohin. Das waren Männer, die dann mit ihren Frauen zu deren Friseur gingen und dort eingeklemmt zwischen Ladies mit Folien auf dem Kopf saßen. Kein Kerl will das! Es gab nur keine Wahl.“ Mit ihrem Laden „Schorem“ wollten sie genau diese Alternative bieten. Schon die Namenswahl (Bertus übersetzt ihn mit „Arschlöcher“) sollte ein Gegenentwurf zur immer hochglanzpolierten Friseurwelt sein, in der alles auf Verbindlichkeit aufbaut und Weichzeichnung zum daily business gehört. Vor Eröffnung ihres Barbershops hängten sie dann noch ein Schild ins Fenster: Keine Frauen, keine Hunde – und hatten schon 10.000 Likes, bevor im Laden selbst auch nur ein Haar gestutzt wurde. Die Anti-Friseure markieren ihr Revier.

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Moment mal: Wasser zum Interview???!!!
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Reine Männersache: Bertus on stage

„Zwei Männer, angezogen wie Gentlemen im 3-Teiler, der Laden ist total exklusiv und heißt ‚Arschlöcher’.“ Leen

Dabei betont Bertus immer wieder: „Als wir mit „Schorem“ begannen, war das kein Konzept. Es wurde erst später eins. Wir hatten den schlechtesten Businessplan ever. Normalerweise macht man sich schlau und guckt, was in der Mode und in den Shops in der Gegend abgeht. Wir haben es genau andersherum gemacht und gesagt: ‚Fuck die Kunden’. Wir machen das, was wir wollen! Was mögen wir? Laute Musik, Bier, unsere Cuts. Wir haben uns einfach vorgestellt, wie für uns der beste Laden der Welt aussehen sollte und haben aus der 20.000-jährigen Geschichte des Barbers einfach das Beste zusammengepackt. Wir schauten uns alte Fotos von Barbern an: Sie trugen weiße Jacken, Pomade-Looks, Schnurrbärte. Klar, die verkauften ja ein Produkt. Und das ist bei Friseuren doch dasselbe: Wenn ein Friseur nicht gut aussieht, vertraust du ihm nicht.“

„Die Frau im Amt musste nachschauen, ob man ein Geschäft überhaupt ‚Arschlöcher’ nennen durfte.“ Bertus

Was als Idee zunächst so zufällig anmutete, wurde leidenschaftlich, fast wie ein Rohdiamant, immer weiter geschliffen. „Wir begannen also vor 6-7 Jahren, mit unseren Tattoos und Bärten in Anzughosen mit Weste und Krawatte rumzulaufen. Niemand wusste etwas damit anzufangen. Sind die ein schwules Paar? Sind es Biker? Was soll das? Niemand sah damals so aus. Und dann lief bei uns im Laden Punkrock-Musik und so ein Zeug. Und der Shop war derart toll. Wir waren verrückt danach, dass alles, aber auch wirklich alles perfekt aussehen musste. Für Leute, die zum ersten Mal zu uns kommen, ist es wie eine Zeitreise zurück in ihre Kindheit, sagen sie. Selbst wenn sie die Erinnerung tatsächlich nicht haben: Genau so hätte es aussehen sollen, wäre ihr Dad mit ihnen damals zum Barber gegangen! Wir haben mit „Schorem“ einfach einen sicheren Ort geschaffen, an dem es nicht nach Dauerwelle oder Farbe riecht. Bei uns riecht es nach Pomade und Aftershave. Es ist maskulin. Wir waren einfach mit der richtigen Idee am richtigen Ort. Das war plötzlich das Konzept: Wir haben einen Laden gemacht, in den wir selbst gern gehen würden.“

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Der Duft von Testosteron statt Dauerwelle
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Frauen: Der Pony zu kurz, hinten zu lang...

„Bei Frauen ist immer ein Haken. Irgendwas stimmt nie. Bei Männern ist das anders. Sie sind zufrieden mit ihren Haaren.“ Bertus

Dabei ist das perfekt beherrschte Handwerk für Bertus und Leen DIE Grundlage ihres Erfolgs. Denn bis zum heutigen Tag war es für beide ein langer beruflicher Weg. Betrus blickt zurück: „Als ich mit 14 Jahren Friseur werden wollte, dachte meine Mutter, ich sei schwul. Ich wollte das aber vor allem wegen der Musik – Rockabilly, Hiphop, Psychobilly und so –, also mehr wegen der Subkultur, die mit der Musik verbunden war. Schon als ich am ersten Tag in der Beauty School war und Wickler eindrehen sollte, war für mich klar: Das ist es nicht! Mein Chef sah damals, dass ich nicht damit glücklich war, morgens ‚Guten Morgen, Mrs. Brown’ zu rufen und ihr ein Plastikcape umzuhängen. Er lud mich ein, freitags, an meinem freien Tag, Freunde mitzubringen und mir das Haareschneiden beizubringen. Als ich dann Männern Haare schneiden konnte, sagte mein Chef, dass ich nun lernen solle, Frauen zu schneiden. Dort sei schließlich das Geld. Ich war happy damit. Zum einen, weil ich Frauen liebe. Zum anderen fand ich heraus, dass Barbering und Frauencuts zwei komplett unterschiedliche Arten des Arbeitens sind. Und: Du bist einfach viel, viel besser, wenn du beiden kannst! Keine Frage.“

„Ich werde nie so gut sein wie Trevor Sorbie.“ Bertus

Bertus fing Feuer. „Ich lernte das Frauenbusiness und wurde echt gut darin. Wir beide waren gute Hairdresser. Mit 19 hatte ich meinen ersten Salon. Ich war sehr ehrgeizig, das gebe ich zu. Eines der Highlights meiner Karriere waren Reisen mit Trevor Sorbie und Angelo Seminara. Aber irgendwann wurde mir klar: Ich werde nie so gut werden wie diese 2 Typen auf der Bühne. Die toppten einfach alles! Das frustrierte mich und ich verkaufte meine 2 Läden an Leen. Und ich machte das, was ich liebte: ich schnitt Männerhaar, vor allem die Haarschnitte, die ich am liebsten mag. Weißt du, ich lebte damals einige Jahre in der Hausbesetzerszene, zahlte keine Steuern und keine Miete. Aber ich schnitt Freunden die Haare. Ich hatte dort zwei alte Barberstühle, Leens Shop war gleich gegenüber. Und wenn er seinen Laden abends schloss, kam auch er rüber zu uns. Warum? Weil es einfach der beste Platz zum Abhängen war. Viele Kerle unter sich. Wer seinen Haarschnitt hatte, ging nicht etwa, sondern blieb einfach da und trank Bier, weil die Atmosphäre so gut war. So lernten wir viel über die männliche Psyche im Allgemeinen: Pack vier Männer, die sich nicht kennen, in einen Raum. Sie fangen an, Geschichten zu erzählen. Das ist ein Männerding. Aber in dem Moment, als meine hübsche Ex-Frau reinkam und mich zum Essen rief, sagte keiner mehr ein Wort… So ist das. Deshalb gehen Männer zum Barber.“

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Zum guten Ton gehört ein Bier
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Diese Looks und sonst nix

„Barbershop, Akademie, Reuzel. Das ist es. Es wird keinen 2. Schorem-Shop geben.“ Bertus

Dass Kunst von Können kommt, wissen Bertus und Leen ganz genau. Ihre Retro-Looks sind wahnsinnig präzise und handwerklich anspruchsvoll, gleichzeitig aber auch pur und ohne Schnickschnack. „Es ist doch so“, sagt Bertus, „Männer aus der Zeit von „Vom Winde verweht“ oder anderen Klassikern sahen gut aus, weil sie wie fucking Männer aussehen! Keinen Pony oder so einen Scheiß. Sie haben die Haare sleek zurück, trugen Hut. Heute ist es doch auch bei James Bond noch so: cleaner Cut, coole Shapes. Da wird auch nicht dran gerüttelt. Und warum? Jede Frau will einen James Bond! Und jeder Kerl will sein wie James Bond! In diesen Filmen ist der Stil zeitlos. Und das ist bei unseren Haircuts exakt auch so.“ Die perfekt beherrschte Technik ist für beide die Grundlage ihres Jobs. Und die vermitteln sie in ihrer „The Oldschool Barber Academy“, die in der Nähe ihres Barbershops in Rotterdam liegt. Übrigens auch an ihre Mitarbeiter, die durchweg Quereinsteiger sind.

„Unternehmen schütteten Frauen-Produkte in Männerverpackungen. Und das sollten wir Männern verkaufen.“ Bertus

Das Prinzip „Alles anders“ wandten die Rotterdamer Jungs auch bei ihrem dritten Unternehmensstandbein an, das sie seit einigen Jahren betreiben: ihrer eigenen Produktlinie. „Wir wollten ein Produkt für unsere zeitlosen Styles machen, mit dem Männer einfach klarkommen. Uns kam die Idee zum Namen „Reuzel“. „Reuzel“ heißt Schweineschmalz. Vor der chemischen Revolution waren Pomaden nämlich fettbasiert. Aber die stanken halt auch ranzig. Unsere Pomade basiert auf Vaseline, Ölen und Wachs und riecht nach Apfel. Aber das Schwein auf der Verpackung erinnert an die Historie, als für Pomaden noch Fette von Tieren genommen wurden. Und die Aludosen so shabby zu machen, war richtig Arbeit.“

Aha, Schmalzköpfe von Arschlöchern. Auch eine Art von Marketing. Die beiden zeigen sich selbst heute noch über ihre Chuzpe von damals begeistert. „Wir waren am Tag der Namensfindung total besoffen, so sehr haben wir uns darüber gefreut! Was für eine saumäßig komisch Idee, dass Männer sagen: Guck mal, ich habe Schweineschmalz im Haar. Das war eigentlich ein Witz, weil es natürlich keinen fucking Sinn machte. Genau wie bei „Schorem“. Jeder lachte über uns. Es hieß: Guck mal, die funny guys. Aber alle erzählten es weiter. Und wir erkannten: Viele Männer wollen so sein wie wir. Klar sagen viele: ‚Der will nicht erwachsen werden’. Aber Leute, ich hab so viel Spaß. Lass sie doch darüber lachen, wie ich aussehe. Hauptsache, sie lachen überhaupt einmal am Tag!“

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Lieblingslook der Schorems: Pompadour
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Keine Hunde, keine Frauen. Eine Ausnahme.

„Boys will be boys. Nur das Spielzeug wird größer.“ Leen

Es gäbe noch so viel zu erzählen von den beiden wunderbaren Raubeinen: Dass sie ihre Kunden wie Juwelen behandeln, manchmal 18 Stunden am Tag arbeiten und unternehmerisch auf der Überholspur sind; dass sie sich von ihrem Haus- und Hoffotografen Jelle gern mal kiffend, besoffen oder schlafend ablichten lassen – und das Ganze auch noch selbst veröffentlichen. Und doch sind alle üblichen Schubladen für diese zwei einfach zu klein. Bertus und Leen haben einfach ihre Hausaufgaben gemacht. Deshalb: Jungs, geht spielen! Die dicken Hosen stehen euch gut. Es war mir ein Vergnügen, euch sinnbildlich im Sandkasten zuzuschauen, wie ihr euch – lachend wie die Kinder – gegenseitig mit Sand bewerft. Eine Stunde pralles Leben und Spaß pur. Fucking good.

* Reuzel ist in Deutschland erhältlich über 1o1 Barbers