#vorlesefriseur: „Wir brauchen mehr Empathie und Solidarität!“

Danny Beuerbach ist seit über sechs Jahren als #vorlesefriseur auf der ganzen Welt unterwegs. Durch sein Projekt "Book a Look - and read my Book" hat er es geschafft, unzählige Kinder fürs Lesen zu begeistern. Doch längst umfasst seine Mission viel mehr, als "nur" die Leselust zu wecken. FMFM-Autorin Daniela Hamburger hat mit Danny ein philosophisches Gespräch über die Bedürfnisse der Gesellschaft, den Umgang mit Kindern und sein Selbstverständnis als "Demokratieverstärker" geführt.
Lieber Danny, Du reist seit Jahren als #vorlesefriseur durch die Lande. Deine großen und kleinen Kund*innen lesen Dir während des Haarschnitts vor, dafür ist der Schnitt gratis. Da gehört eine ordentliche Portion Idealismus dazu. Was treibt Dich nach dieser langen Zeit noch immer an?
Es ist gar nicht so einfach, die Triebkraft bei dem Projekt in Worte zu fassen. Hier dreht sich viel um Emotionen. Und die sind vielschichtig. Obwohl ich im Kern immer wieder ähnliche Aufgaben erfülle, ist jeder Moment anders. Was mich dabei antreibt, sind die Begegnungen mit den Menschen. Da wird’s nie langweilig. Jede Lesung, jede Veranstaltung, jedes Kind ist anders. Und dazu kenne ich kein anderes Projekt, in dem ich unaufgedrängt im Mittelpunkt stehen darf – ohne im Mittelpunkt zu stehen. (lacht)
Um mich kurz zu fassen: Für mich gibts nichts Schöneres, als wenn mir Kinder vorlesen. Diese Momente sind einfach unbezahlbar und geben mir auch echt viel zurück.
„Lesen öffnet Türen“
Warum liegt Dir so viel am Lesen? Sind Leser*innen die besseren Menschen?
Lesen macht nicht automatisch einen besseren Menschen aus einem, nein, aber es öffnet Türen zu persönlichem Wachstum. In einer zunehmend digitalen Welt ist Lesekompetenz ein Schlüssel zur Freiheit und Unabhängigkeit. Um es richtig zu verstehen: Mein Beitrag zur Leseförderung zielt nicht darauf ab, Höchstleistungen zu erzwingen. Vielmehr geht es darum, den Kindern die Freude am Lesen zu vermitteln und zeitgleich ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Auch möchte ich ihnen die Angst vor Fehlern nehmen und ihnen zeigen, dass es ganz und gar nicht darum geht, perfekt zu sein. Sondern auch darum, auch mal Unangenehmes zu tun. Denn auch ich bin kein perfekter Leser, aber ich lese mittlerweile mit Stolz und ohne Angst vor Fehlern. Und dadurch, dass ich wenig Angst vor Fehlern habe, mache ich automatisch weniger Fehler. Genau das möchte ich den Kids mitgeben – ohne den Druck der Perfektion.
„Wir berühren nicht nur Haare, sondern Leben“
Bleiben wir bei den Kindern: In Workshops erklärst du Berufsschüler*innen, wie man mit Kids als Kund*innen umgeht. Worauf kommt es denn dabei an und wie ist das Feedback der Azubis?
In unserem Beruf sollte uns stets bewusst sein, dass wir nicht nur Haar, sondern auch Leben berühren – indem wir Menschen helfen, sich nicht nur schön, sondern auch selbstbewusst zu fühlen. Und in einer Zeit, in der psychische Gesundheit immer mehr in den Fokus rückt, ist unsere Rolle im Salon wichtiger denn je. Wir schaffen durch unser Tun nicht nur äußeres Wohlbefinden, sondern auch innere Stärke.
Darum seht Eure jungen Kund*innen nicht nur als Klient*innen, sondern auch als vollwertigen Menschen mit einer Vorgeschichte und Emotionen. Baut echte Beziehungen auf, achtet auf Euren Empfang und schafft eine Atmosphäre des Vertrauens und der Wertschätzung. Dies gilt insbesondere für unsere jüngsten Kund*innen, wie im „KidsCut-Workshop“ deutlich wird. Das Feedback dazu ist positiv und es wird angemerkt, dass – obwohl der Workshop, bestehend aus einem theoretischen und einem praktischen Teil, sich zu 100 % auf Kinder konzentriert – das hier Gelernte oft sehr zufriedenstellend auf Erwachsene übertragen wird.
Freundschaften zwischen Wildfremden
Du wirst als „Demokratieverstärker“ bezeichnet. Wer nennt Dich so, und was ist damit gemeint?
Das erste Mal wurde ich von Judith Burger so getauft. Eine tolle Autorin, welche ich auch privat sehr schätze. Daraufhin hat auch der WDR über mich geschrieben, dass ich sowas wie ein Demokratieförderer sei – Zitat: „Leute bleiben stehen, lassen sich erklären, was passiert, überlegen, mitzumachen – Gespräche entstehen.“ Auch heißt es, was ich hier tue, sei „die Eroberung des öffentlichen Raumes“. Und ja, mittlerweile glaube ich auch selbst irgendwie daran. (lacht) Ich mein, stellt euch das mal bildlich vor: Ich reise spontan und alleine in eine Stadt, in der ich vorher noch nie war, suche mir einen schönen Platz aus und schlag dort mein Lager auf. Und plötzlich – innerhalb von wenigen Minuten – sitzen wildfremde Menschen ganz ungezwungen um mich herum, knien am Teppich auf dem Boden, blättern in Büchern und hören zu. Das geht dann Stunden so. Da ist ein Kommen und Gehen. Und manchmal beobachte ich sogar wie Freundschaften entstehen. So als wäre das alles das Selbstverständlichste auf der Welt.
Wie schaffst Du es denn, diese Nähe und Verbindung zwischen den Menschen herzustellen? Was tust Du, um diese „annäherungsfreundliche“ Atmosphäre zu kreieren?
Ich habe da überhaupt keine Taktik. Viel mehr versuche ich, einfach nur da zu sein. Ohne Stress und ganz in Ruhe. Der erste Kontakt geht über die Augen und ein freundliches Lächeln. Ist die Person vor mir kleiner als ich, beuge ich mich oder geh auch mal in die Knie. Und sobald die Menschen merken, wie ich so ticke, überträgt sich das auf sie. Der Rest passiert von ganz alleine.
„Die Gesellschaft braucht mehr Mitgefühl“
Du scheinst mit diesem Zusammenbringen einen Nerv getroffen zu haben. Nach Deinem Empfinden: Was braucht die Gesellschaft in diesen unruhigen Zeiten am meisten?
Romane! Im Ernst! Wir brauchen mehr Romane. Kitschige, blumige Romane! Die machen zwar nicht schlau – aber sie öffnen die Augen! Denn was wir brauchen, ist mehr Empathie und Solidarität! Sprich: Ein verstärktes Mitgefühl für die Nöte und Sorgen anderer, unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status. Auch wünsche ich mir mehr Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, denn unsere Welt wird immer komplexer. Und ich glaube, dass wir diese unruhige Zeit mit all ihren Problemen nur mit geballter Kraft überstehen können.
Leseförderung soll „salonfähig“ werden
Alleine ist das nicht zu schaffen… Wie trägst Du Deine Vision in die Welt? Wie sorgst Du dafür, dass sie noch weitere Kreise zieht?
Davon abgesehen, dass ich immer wieder zum Mitmachen aufrufe und dazu auch kleine Kampagnen starte, habe ich meine Taktik geändert – indem ich bei meinen Aktionen Salons mit ihren Friseur*innen vor Ort mit einbeziehe. Auch nehme ich mir Zeit und besuche Salons zum Vorsprechen und um mein Projekt vorzustellen. Das große Ziel ist es ja, das „literarische Haareschneiden“ bzw. die Leseförderung salonfähig zu machen. Will sagen: Ich wünsche mir, dass es irgendwann völlig normal ist, dass Kinder in die Salons kommen, um vorzulesen. Und dass sie dafür dann eine kleine Anerkennung erhalten.
Neues Konzept: Friseursalon trifft Buchcafé
Welche Pläne hast Du für Deine Zukunft? Wie geht’s weiter mit dem #vorlesefriseur?
Aktuell erfreue ich mich über eine frisch gestartete Kooperation mit einem renommierten Münchner Friseurunternehmen, wo ich meine Fähigkeiten als Zugpferd und Ideengeber einbringen kann. Auch hatte ich im letzten Jahr die Gelegenheit, bei einer Konzeption und Umsetzung eines Projekts mitzuwirken, welches mir viel Freude bereitet hat. Die Zusammenarbeit mit einem Freund, der eine bewegende Fluchtgeschichte hinter sich hat, war eine besonders bereichernde Erfahrung. Es ging darum, seine kulturellen Wurzeln in seinem Friseursalon zu stärken und ihm dabei zu helfen, seine Vision zu verwirklichen. Gemeinsam haben wir ein Konzept entwickelt, das seine Identität widerspiegelt – von der Namensgebung bis hin zur Gestaltung des Angebots. Statt des traditionellen Kekses zum Kaffee servieren wir nun Datteln – eine kleine, aber feine Nuance, die seine Herkunft ehrt. Dieses ganzheitliche Consulting-Projekt, das von der Inneneinrichtung bis zur Online-Präsenz reichte, hat mir gezeigt, wo meine zukünftige berufliche Reise hingeht.
Hierzu plane ich für die Zukunft, meine eigene Passion für das Friseurhandwerk mit meiner Vorliebe für Bücher und guten Kaffee zu verbinden. (lacht) Mein Ziel ist es, hierbei ein Konzept zu schaffen, das Friseursalon, Büchercafé und Produktkiosk vereint. Diese Vision – in Form eines „Vorlese-Friseur-Salons“ – soll langfristig als Grundlage für ein Netzwerk dienen, in dem sich Buchhändler*innen, Baristas und Friseur*innen zusammenschließen, um solche Orte zu schaffen. Doch bis dahin fließt sicherlich noch viel Wasser die Isar hinunter.“ Weil: First things first. Und dazu kommt – und das ist das Schöne – alles kann, nix muss.
Vielen Dank, lieber Danny, für das mutmachende Interview, und weiterhin viel Freude bei Deinen Herzensprojekten. Schön, dass es engagierte Menschen wie Dich in unserer Gesellschaft gibt.