„Wir müssen den Youngsters Bock auf den Beruf machen – wer sonst?“

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11. Juni 2023In MeinungVon FMFM Team
Andi Ehrle will anpacken & zeigen, was alles im Friseurberuf steckt
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Andi Ehrle will anpacken & zeigen, was alles im Friseurberuf steckt
11. Juni 2023In MeinungVon FMFM Team

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Glaubt es oder nicht: Andi Ehrle ist neuerdings stellvertretender Obermeister „seiner“ Innung. Und er hat vor, den (Friseur-)Laden so richtig aufzumischen! Aktuell im Fokus: Azubis begeistern. Frei nach dem Credo: Wenn nicht wir, wer sonst?

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Vor ein paar Tagen war wieder mal Innungsversammlung bei uns im Kreis. Diesmal waren die Wahlen dran. Ich bin erst seit Herbst letzten Jahres in der Innung und dachte vorher immer: Das ist nichts für dich, brauchst du nicht. Braucht man aber schon, sage ich heute dazu! Schließlich ist Tradition seit über 100 Jahren in einer Zeit so schnellen Wandels gar nicht mal so schlecht. Es ging an dem Abend um dies und um das und es ging auch um die Berufsschule. Zwei Lehrkräfte waren da und berichteten von den Problemen, die es in den Schulen so gibt. In dieser Nacht war ich aufgewühlt und konnte nicht pennen. Hiervon nun ein Teil für euch…

Was ist da los, in der Schule?

Die Lady von der Berufsschule erzählte uns, dass im Moment gerade mal 15 Schüler*innen im ersten Lehrjahr sind, die Friseur*in werden möchten. Checke ich zuerst mal nicht, dachte ich mir. 15 Schülerinnen und Schüler? Das ist schon echt wenig für Tübingen und das Einzugsgebiet. In meiner Zeit waren das, glaube ich, drei volle Klassen, also knapp 90 Leute. Klar, das ist natürlich schon eine Weile her, aber hat sich das so krass verändert in den letzten Jahren? Woran liegt das denn heute? Ist es die schlechte Bezahlung? Die Arbeitszeit? Das ständige Stehen, das schlechte Bild von uns Friseur*innen oder was auch immer? Warum will denn niemand mehr Friseur*in werden?

Was sicher auch eine Rolle spielt: Die Menschen in unserer Stadt sind sehr bildungsorientiert; da bist du ohne Abi halt nichts und wirst oft komisch angeschaut. Viele Eltern schicken ihre Kinder also auf das Gymnasium – ob sie da hingehören oder nicht. Das ist ihnen egal. Die Leistung wird schon noch kommen und es wäre ja eine Niederlage, ertragen zu müssen, dass ihr Kind nur einen Schulabschluss darunter hat. Prestige ist das. Ungefähr so, wie das dicke Auto vor der Tür, die drei Flugreisen im Jahr und immer nur das teure Essen auf dem Tisch. Das brauchen doch viele, um ihre Stories zu erzählen. Höher, schneller, weiter ist deren Fokus. Seid mal ehrlich zu euch selbst. Ist das nicht arm? Mich kotzt das jedenfalls an und macht mich wütend.

Was geht da ab?

Zurück zum Thema: Ich fragte sie, wieviele von diesen 15 Schüler*innen denn in Deutschland geboren sind oder zumindest die Sprache gut sprechen? „Ungefähr zwei“, war ihre Antwort. Heißt: Der Unterricht ist auf Deutsch, aber fast keiner versteht ihn? Wie soll das denn klappen? Das kann doch nicht gutgehen! Lässt sich unser Job etwa sprachlos lernen? Das passt zu dem, was andere über uns Friseur*innen denken: „Das kann ja jeder!“. Warum sieht die Politik das Problem denn nicht? Warum wird hier nicht gehandelt?

Die Lehrerin erzählte, dass manche die Ausbildung schnell wieder abbrechen. Das kann ich voll verstehen, weil ich schon ein paar Mal gehört habe, dass Salonunternehmer*innen Unterstützung für Immigrant*innen kassieren und sie dann hart arbeiten lassen, ohne ihnen eine wirkliche Perspektive zu geben. Beispiel: Wenn an einem Dienstag ein Feiertag ist, dann ist der Montag, der eigentlich frei ist, dagegen zu tauschen. Also hast du halt nichts vom Feiertag gehabt. Pech für dich. Leute, mal ganz direkt: Wenn Menschen andere Menschen so behandeln, dann wundert euch nicht, dass das Ding am Sinken ist. Wo ist die Würde, wo der Respekt? Und warum machen das manche oder können es machen, ohne dass dagegen vorgegangen wird? Das kann und das will ich so nicht akzeptieren! Wir sitzen doch alle im selben Boot, aber das checken die meisten nicht. Die Friseur*innen, die so Menschen ausnützen und nur nach sich selber schauen, sind für mich diesen Job nicht wert. Also: Die Scheren wegnehmen – und ciao!

Leben, erleben und überleben

Liebe Politiker*innen, wer über 10.000 Euro im Monat verdient, ein gutes und finanziell sorgenfreies Leben lebt, nach der Berufszeit abgesichert ist und keine existenziellen Ängste  – egal ob Angestellte*r oder Unternehmer*in – haben muss: wie könnt ihr euch auch nur annähernd in uns hineinversetzen? Ich finde aber, dass genau das euer Job ist, wenn wir hier von einer Demokratie sprechen. Also, was können wir selbst machen? Einfach auf die Straße gehen, alle Friseur*innen zusammen – oder besser noch alle aus dem Handwerk. Denn all das ist ja nicht nur bei uns ein Problem. Auch auf dem Bau kriegt nur der einen Auftrag, der Dumpingreise anbietet. Unter welchen Umständen auch immer das Angebot zählt. So gesehen haben wir Friseur*innen da ja noch Glück. Die Billigläden sind keine wirkliche Konkurrenz, wenn du einen Premiumsalon hast. Ich sage immer: Wir sind nicht preiswert, aber den Preis wert! Das sehen unsere Kund*innen auch und deshalb sind die Stühle voll. Qualität zeigt sich im Spiegel daheim. Trotzdem muss aus meiner Sicht dringend gegen die teilweise illegalen Haar-Schneide-Buden vorgegangen werden… Aber das ist ein anderes Thema.

Wie oft höre ich von Friseurkolleg*innen: „Ich will mein altes Leben zurück.“ Aber Leute, dieses „alte Leben“ gibt es nur noch in der Erinnerung. Wir leben ja fast schon in der Zukunft. Also müssen wir auch nach vorne denken. Für mich gibt es nur einen Weg: AKTIV WERDEN. LAUT WERDEN. FLAGGE ZEIGEN. Am besten alle zusammen.

Was habe ich vor?

 Ich dachte erst mal drüber nach, wie wir denn unseren Beruf für andere wieder interessant machen könnten. Junge Menschen – auch mit Abi – zu begeistern, es zu wagen. Die Vorteile aufzuzählen, Emotionen zu verkaufen und dabei nicht den Glanz in euren Augen zu vergessen. Fragt doch einfach mal eure Kund*innen, was ihre Kinder denn vorhaben nach der Schule. Wir können diesen Eltern doch das Schöne an unserem Job nahebringen, die Vorteile definieren. Denn ja, die gibt es! Wo arbeitet man schon für die Schönheit, kann tragen, was man will, hat immer schöne Haare, arbeitet mit und an den Menschen, im Trockenen?

Ich selbst werde demnächst in die Schulen gehen, an den Tagen, an denen die Schüler*innen die Chance haben, Berufe näher kennenzulernen. Ich werde ihnen mein Feuer für den Beruf mitbringen und meine Story mit allem, was dazu gehört. Die Vielfalt der Chancen, die du mit der Schere in der Hand hast. Die Erwähnung der vielen Städte und Bühnen, auf denen ich in den Jahren gestanden habe. Das „Wo komme ich her“ und das „Wo bin ich jetzt“. Mein Salon und meine Wurzeln. Meine Oma Anna, durch die ich zum Beruf kam. Die Liebe zum Haar, die Liebe zum Menschen. Es ist eben das, was es ist. Und glaubt mir, Worte sind da mächtiger als die Zeilen, die ihr gerade lest. Ich selbst war auch auf dem Gymnasium und musste mir viel darüber anhören, warum ich denn nur Friseur geworden bin. Das höre ich manchmal sogar heute noch von einzelnen. Ich bin aber nicht nur ein Friseur. Ich bin stolzer Friseur!

Mein Ziel ist es, mehr junge Leute, die im Moment noch auf der Schule sind, dazu zu bringen, Friseur*in zu werden. In unsere Fußstapfen zu treten und die Story weiterzuleben und zu erzählen. Oder glaubt ihr, dass bald die Roboter unseren Job machen? Nö. Haare machen ist Kunst, ist Fantasie, es ist Freundschaft über Jahre. Das schaffen nur wir! In unserer Innung bin ich jetzt Artdirector und Markenbotschafter. Kürzlich abends wurde ich zudem noch zum stellvertretenden Obermeister gewählt. Diese ganzen Funktionen vertrete ich mit Stolz und werde alles geben, dass es in unserem Job weitergeht mit jungen Menschen. Ich danke meinem Präsidenten – und ab jetzt trifft Tradition auf den Rebellen!

P.S.: An die Politiker*innen: Vielleicht schneidet ihr euch in ein paar Jahren die Haare ja selbst, wenn ihr jetzt nicht bald handelt. Aber auch das ist euch ja bestimmt nicht so wichtig.

Sorry, mich gibt‘s nur ohne Filter!

Euer Andi

 

Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“

11. Juni 2023In MeinungVon FMFM Team
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