Eine Woche Schleudergang. Andreas Nuissl über bizarre Erlebnisse & viel Hoffnung

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Andreas Nuissl ist Friseurunternehmer aus Bayreuth und hat 2 Salons
Andreas Nuissl ist Friseurunternehmer aus Bayreuth und hat 2 Salons

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Wenn sich eine Woche wie ein ganzes Jahr anfühlt...! Friseurunternehmer Andreas Nuissl über 7 Tage, die sein ganzes (Berufs-)Leben auf den Kopf stellten – und seinen Plan, wie es nun weitergehen kann.

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Seit der neuartige Corona-Virus in mein – in unser aller – Leben getreten ist, reiht sich ein bizarres Erlebnis ans andere. Es geht euch vermutlich wenig anders. Ich erinnere mich noch, als ich das erst Mal von Corona im fernen China gehört hatte. Damals war diese Nachricht so weit weg und doch wegen unserer Globalisierung so nah. Klar fragte ich mich auch damals schon: Was, wenn dieses Virus auch zu uns kommt? Was wird passieren, was macht es mit uns, was macht es in Bezug auf unsere Arbeit? Fragen, die aber dann doch wieder in den Hintergrund traten. Bei uns hieß es erst mal Urlaub in Südtirol! Skifahren. Endlich. Keine Anzeichen von Virus und keine Meldung der Medien. Kein Risikogebiet. Auf der Piste dann auf einmal Anrufe von besorgten Freunden, ob es uns gut gehe. Ja klar, super Schnee, super Wetter. Was wir nicht wussten: Zu diesen Zeitpunkt wurde in Deutschland schon berichtet, das in Italien das Virus in einigen Gebieten angekommen war. Zurück aus dem Urlaub, haben wir natürlich sofort einen Test gemacht, der negativ ausfiel. Gott sei Dank… Eine trügerische Sicherheit.

Seither überschlugen sich die Ereignisse…

Denn schon kurz darauf gab es die ersten Einschnitte auch bei uns: Keine Schule mehr. 50% Terminabsagen, da sich die Mütter um die Kinder kümmern mussten. Ängstliche Kunden! Eine Krisensitzung mit meinem Team. Wir dachten über Kurzarbeit nach oder zumindest die Betriebe von 39 Stunden auf 25 Stunden pro Woche herunter zu fahren. Dann trafen uns aber die Absagen mit voller Wucht. 80% Ausfall. Unser Plan wurde durchkreuzt. Erst kam die Entscheidung, einen Sicherheitsabstand von 1,50 m zwischen den Kunden einhalten zu müssen. Kein Problem: Die Hälfte der Stühle wurde weggeräumt, Zeitungen wurden entfernt und die Sicherheitsstandards nochmals erhöht. Die Kunden, die uns in der letzten Woche noch die Treue hielten, wunderten sich, dass wir weiterarbeiten durften, obwohl wir, um unseren Job gut und richtig zu machen, den Sicherheitsabstand zum Kunden nicht einhalten können… Klar war das bizarr. Diese Frage stellten wir uns doch auch.

Kopfschütteln immer wieder

Übertroffen wurde das skurrile Szenario jedoch von einigen Kunden, die weder Sinn noch Vernunft in unseren Hygienemaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen sahen. Da gab es tatsächlich Unverständnis darüber, warum es keine Zeitschriften gäbe und warum der Getränkeservice ausbleiben würde. Sogar Anfragen, ob wir eine Kundin mit Bronchitis nach Dienstschluss schneiden und färben könnten, damit Sie sich nicht noch von jemanden anderen zusätzlich ansteckt, waren dabei. Ebenfalls an der Tagesordnung: Anfragen nach Heimarbeit, weil man als Risikogruppe im gefährdeten Alter nicht den Salon betreten möchte! Selbstverständlich hätten wir zu diesem Zeitpunkt noch Hausbesuche machen können, aber offenbar lag diesen Kunden der Gedanke völlig fern, dass auch wir ohne eigenes Wissen Träger des Virus sein und so eine Gefahr für diese Risikogruppe darstellen könnten… Diese Unbekümmertheit und Ignoranz dem Virus und uns gegenüber veranlasste mich schließlich am Samstag – einen Tag vor der verordneten Schließung – zu der Entscheidung, unsere Betriebe zum Schutz unserer Kunden und unserer Mitarbeiter zu schließen.

Stillstand! Ausgebremst! Was nun?

Seit gestern ist klar, dass alle Friseurläden mindestens bis zum 6.4.2020 schließen müssen. Wann es weiter geht, hängt von der Entwicklung ab, wie sich das Virus weiter ausbreitet und wie wir auf die Anordnungen der Regierung reagieren. Wichtig ist es, jetzt alle gemeinsam der Ausbreitung entgegenzuwirken, Verantwortung zu zeigen und allen Anordnungen Folge zu leisten! Nach diesen Wochen im emotionalen Schleudergang bin ich überzeugt: Jetzt ist die Zeit, die wir als Glück für uns selbst sehen sollten. Frei nach Karl Valentin. „ Heute mach ich Besuch bei mir selbst – hoffentlich bin ich zu Hause.“ Jetzt heißt es, sich Gedanken zu machen, wie es nach dieser Zwangspause weitergehen kann. Liebe Kollegen, nutzen wir alle uns zur Verfügung und je nach Bundesland rechtlich noch erlaubten Mittel zur Wertschöpfung unserer Unternehmen, z. B. Farbverkauf gegen Abholung für unser Kunden, Online-Schulungen mit Mitarbeitern, Stärkung des Teams durch Aufgabenverteilung – jeder hat einen anderen Schwerpunkt, über den er sich Gedanken machen kann. Wir können auch von zu Hause aus neue Farbtechniken, Farbtrends und Ideen für neue Inspirationen entwickeln. Wir können uns via soziale Medien mit Kollegen und Freunden austauschen. Lasst uns zusammenrücken, uns gegenseitig Tipps geben, wie jeder seine Krise meistert und welche Ideen er oder sie hat. Wie wäre es mit einem Kollegen-Chat über FMFM.de?

Einfach „Danke“ sagen!

Nutzen wir diese Zeit als Chance! Nicht nur für unser eigenes Geschäft, auch für unsere Familie und unsere Freunde. Und unterstützen wir unsere Gastronomen mit ihrem Lieferservice, andere Dienstleister, Handwerker und Freunde. Haben wir ein nettes Wort für die großartigen Verkäuferinnen und Verkäufer, die im Versorgungsbereich noch für uns da sind. Und lassen wir sie Geld verdienen, das dazu beiträgt, ihre Familien und Mitarbeiter zu ernähren und Arbeitsplätze zu sichern. Danke an unsere Polizei, unsere Ärzte und Hilfskräfte, die einen unglaublichen Job im Dienste der Menschheit machen. Als besonderen Dank haben wir uns einfallen lassen, dass wir allen Hilfskräften in den ersten vier Wochen nach Wiedereröffnung 50% Ermäßigung auf unseren Haarschnitt geben. Danke für die wirtschaftliche Unterstützung, die hoffentlich auch bei uns Kleinunternehmern ankommt. Danke auch an alle Vermieter, welche aus Solidarität die Miete halbieren oder vielleicht ganz erlassen.

Ein ganz besonderer Dank geht an meine Mitarbeiter! Um auch während der Schließungszeit Kontakt mit ihnen zu halten, haben wir einen Salon-Gruppenchat eingerichtet, über den wir uns jeden Tag austauschen. Ich als Chef informiere meine Mitarbeiter täglich über die neuesten Gegebenheiten und wir teilen Ideen, Sorgen und Freude. Mein Ziel ist es, auf diesem Weg die Motivation meines Teams aufrecht zu erhalten und meiner Mannschaft das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Wir alle wissen noch nicht, wie lange wir warten müssen, bis wir unsere Arbeit wieder aufnehmen können und wie wir wirtschaftlich nachher dastehen. Was ich aber weiß, ist, dass wir hinterher menschlicher und rücksichtsvoller miteinander umgehen werden.

Ich hoffe, wir überstehen alle diese schwere Zeit. Trotzdem blicke ich mit Zuversicht in die Zukunft. Lasst uns alle zusammenstehen, bleibt gesund und passt auf Euch und Eure Lieblingsmenschen auf!

Mit hoffnungsvollen und herzlichen Grüßen

Andreas Nuissl