Krasse Behauptung: Jammern die deutschen Friseure etwa zu sehr?

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Wie geht es Friseuren im internationalen Vergleich? Jammern wir zu viel?
Foto: Shutterstock / 1880302585
Wie geht es Friseuren im internationalen Vergleich? Jammern wir zu viel?

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Andere Länder, andere Corona-Hilfen! 0% Unterstützung oder 100%? Ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt verblüffend krasse Unterschiede, wie einzelne Länder die Unterstützung der Salonunternehmer in Lockdown-Zeiten handeln. Wer bekommt Hilfsgelder vom Staat, wie haben sich die internationalen Friseure auf die Corona-Lage eingestellt? FMFM hat sechs Friseure von vier Kontinenten zu ihrer Lage befragt.

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Same same, but different: Rund um den Globus waren oder sind Salonunternehmer zum Nichtstun verdammt und mussten monatelang schließen. Das internationale Gefälle hinsichtlich der staatlichen Unterstützung der Betriebe ist allerdings riesig! Von Null bis 100 ist alles dabei. Bei FMFM berichten Friseure aus den USA, Australien, Brasilien, dem Vereinten Königreich, Frankreich und Dänemark über ihre Corona-Strategien.

Sascha Hirtsgaard, Helsingør, Dänemark: „Die letzten zehn Monate waren wie eine Achterbahnfahrt.“

Es war völlig verrückt in Dänemarkt: Wir mussten bis August 2020 keine Maske tragen. Die Regierung dachte nicht, dass das für uns nötig war! Bei uns gibt es etwa 200.000 Corona Infizierte. Die letzten zehn Monate waren wie eine Achterbahnfahrt für mich: Ich habe viel geweint, als wir im März 2020 schließen mussten und war maximal gestresst. Dann kam die nächste Phase und ich versuchte, mich einfach zu entspannen und die Zeit mit meiner Tochter zu genießen – spazieren zu gehen, den Frühling zu genießen.

Als wir nach vier Wochen wieder öffnen durften, haben wir 12 bis 14 Stunden am Tag gearbeitet. Mein Salon Guys & Dolls Intercoiffure besteht seit 1966, es ist ein Familienbetrieb. Ich beschäftige zwei Friseurinnen und zwei Auszubildende. Der Horror passierte im November: Vier von uns Friseuren hatten sich bei einem Kunden mit Covid-19 angesteckt! Der Salon war also wieder zu. Und am 20. Dezember hat dann die Regierung wieder einen Lockdown angeordnet, der voraussichtlich bis Ende Februar gehen soll. Meine Junioren im Salon hatten verständlicherweise zunächst Angst zurückzukommen. Und ich bin gestresst wegen des Geldes.

Von offizieller Seite habe ich einen Monat 30.000 Kronen (etwa 4000 Euro) für meine Mitarbeiter bekommen, aber das reicht natürlich nicht und ich habe draufgelegt. Wenn ich für die Regierung arbeiten würde, bekäme ich 100 Prozent Hilfe. Aber Selbstständige müssen selbst viel bezahlen. Fünf Tage bevor sie Dänemark quasi geschlossen haben, wurde das Gesetz geändert. Wäre das nicht passiert, würden auch wir 100 Prozent Hilfe erhalten. Ich bin unendlich froh, dass mir meine Mutter finanziell zur Seite steht.

Meine Kunden und meine Mitarbeiter ermutigen mich. Eine Angestellte begann 1995 für meine Familie zu arbeiten und hatte nie einen kranken Tag! Sie ist großartig, genauso wie meine Junioren! Ich hatte lange Chats mit meinen Freunden der Fondation Guillaume von Intercoiffure Mondial. Mit ihnen kann ich darüber reden, wie ich mich fühle und wie ich mit vielen Dingen umgehen soll. Es tat immer gut, ihren Rat zu hören. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun sollte. Wie ich die Zukunft sehe? Alles wird besser, wenn viele geimpft sind. Und wir sollten alle versuchen, irgendwie einen Notgroschen zu haben – vielleicht für ein nächstes Mal. Die Sonne wird wieder scheinen! Das ist kein Krieg! Wir müssen lernen, wie wir Mutter Erde annehmen.

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!

Mat Johnson, Adelaide, Australien: „Süd-Australien ist so gut wie Covid-frei.“

Wir hatten einen sehr strengen Lockdown im vergangenen November; mein Salon MJ Hair war fünf Wochen lang geschlossen. Es hat mir eine Riesenangst eingejagt, wir hatten ja keine Ahnung, wie lange es dauern wird. Süd-Australien hat sofort alles dicht gemacht im Gegensatz zum Rest von Australien. Deshalb ist unsere Region so gut wie Covid-frei und sehr sicher. Im Moment zählen wir in Süd-Australien zwei aktive Covid-Fälle. Insgesamt hatten wir 28.842 Infektionen, jetzt aktuell noch 55 Fälle im ganzen Land. Ich bin Salonbesitzer, seit 18 Jahren Friseur und beschäftige fünf Mitarbeiter. Unter Corona-Bedingungen dürfen die Friseursalons eine Person pro vier Quadratmeter bedienen; alles, was ein Kunde berührt, muss sterilisiert werden. Natürlich tragen wir Maske.

Die Regierung gewährte uns großzügige Hilfen, das ist ein großes Glück in Australien. Viele Leute konnten ihre Arbeit behalten, denn wir bekamen alle staatliche Unterstützung bei den Löhnen und Steuererleichterungen. Das ging alles sehr einfach, und jeder Australier hat Anspruch darauf.

Einziger kleiner Nachteil: Ich wurde dick – ich habe sozusagen meine negativen Gefühle weggefuttert und viel Wein getrunken. Positiver Aspekt: Ich habe Lehrvideos gedreht und veranstalte Live-Workshops über Facebook Live. Außerdem produziere ich Social-Media-Inhalte und nutzte die Lockdown-Zeit, um Hochzeitsplaner zu werden.

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!

Cyrill Brune, Epinal, Frankreich: „Ich gebe Livestream-Shows für Kanada und den Libanon.“

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!

Da ich karibischer Herkunft bin, ist Stress ein Wort, das ich nicht kenne. Ich bleibe immer positiv. 2020 gab es in Frankreich zwei Salonschließungen: von Mitte März bis Mitte Mai und den gesamten November. Wir haben über drei Millionen Corona-Fälle. Ich bin komplett ausgestiegen, habe gekocht, hatte die Gelegenheit, mein Zuhause wiederzuentdecken und mir die Zeit zu nehmen, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich habe unendlich viel Glück, dass ich auf dem Land lebe und mich jeden Tag an der Natur erfreuen konnte.

Natürlich habe ich auch meinen Job vermisst, meinen Salon mit meinen zwei Mitarbeitern und auch meine weltweite Tätigkeit als Ausbilder. Leider sind etwa 15 Engagements als Trainer im In- und Ausland storniert worden.

In Frankreich haben wir viel Hilfe und Unterstützung vom Staat erhalten; darüber hinaus habe ich das Glück eines soliden Managements meines Salons. Der Staat erstattete den Geschäftsverlust während beider Lockdowns, der fast meiner normalen Tätigkeit entsprach. Meine Mitarbeiter erhielten 84 Prozent ihres Lohns. Im Juli habe ich einige Renovierungsarbeiten durchgeführt, die mir eine neue Identität verliehen haben. Durch den Reiz dieser Erneuerung konnte ich neue Kunden gewinnen. Ich wollte eine Art “Cocooning Apartment“-Atmosphäre schaffen, in der ich meine Kunden auf eine etwas private Art empfange. Wir haben viel Platz und Abstand zum nächsten Kunden, um die Covid-Hygienemaßnahmen einzuhalten. Für meine Kunden fühlt es sich luftig an, und für mich ist es eine Freude, sie zu bedienen. Ich habe es geschafft, den Kurs zu halten.

Die Monate der Wiedereröffnung mit verlängerten Öffnungszeiten haben die Einbußen während der Sperrungen wieder wettgemacht. Und ich merke, dass es ein Leben nach Covid gibt: Ich wurde für zwei Frisurenshows in Kanada und im Libanon gebucht – online. Aber das ist ein Anfang!

Mari Nicácio, São Paulo, Brasilien: „Von der brasilianischen Regierung gibt es nichts.“

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!

In meinem Land Brasilien beklagen wir über 220.000 Corona-Tote, über neun Millionen Menschen haben sich hier bereits mit dem Virus infiziert. Ich lebe in São Paulo und führe den 370 qm Salon Studio Lorena hair spa mit 60 Mitarbeitern. Vor der Pandemie gab es 500.000 Friseure und Beautysalons in Brasilien, aber viele haben den Lockdown, der von März bis Juli dauerte, nicht überlebt.

Im Juli haben wir mit allen empfohlenen Einschränkungen und Hygienemaßnahmen wiedereröffnet – mit 30 Prozent weniger Umsatz als vor der Pandemie. Von der Regierung wurden wir nicht unterstützt. Es gab nichts. Zum Glück habe ich Gespartes und konnte mich und meine Familie über Wasser halten. Ich habe die Lockdown-Zeit genutzt und Italienisch gelernt.

Natürlich habe ich Angst vor der Corona-Situation, aber ich bin nicht verzweifelt, denn ich glaube an Gott und ich bin sicher, dass er immer weiß, was für den Planeten Erde am besten ist. Wir arbeiten mit sehr wohlhabenden Kunden zusammen, viele sind aus der Stadt geflohen und in ihre Sommerresidenzen aufs Land gezogen. Wir Brasilianer haben eine sehr liebevolle Beziehung zu unseren Kunden. Viele waren bereit, durch Vorauszahlungen zu helfen und haben damit Salonmitarbeiter unterstützt. Leider haben einige von ihnen Freunde oder Familienmitglieder verloren.

Ich habe schon viele Momente erlebt, die sehr hart in meinem Leben waren – bereits als ich ein kleines Kind war, aber glücklicherweise habe ich einen großartigen Vater. Er hat mir gezeigt, dass ich Tag für Tage meine Gedanken so gut wie möglich im Griff haben kann, damit der Stress schnell vergeht. Ich freue mich, dass die Saloninhaber ein neues Gebäude für unser Team in der Rua Oscar Freire vorbereiten, der Hauptstraße im Luxusviertel von São Paulo. Dieser neue Salon soll während und nach dieser Pandemie ein Zufluchtsort für Kunden und Mitarbeiter sein.

Martin Reichelt, London, UK: „Nicht klagen, sondern planen und machen!“

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!

Ich habe mich bereits zweimal mit Corona angesteckt: gleich im Dezember 2019 und dann ein Jahr später nochmal – vom 27. Dezember 2020 bis 20. Januar war ich krank. Seit 2006 lebe ich in London, ursprünglich komme ich aus Dresden. Mir gehört ein Salon in London, im historischen Stadtteil Farringdon, ganz in der Nähe der St.Paul‘s Cathedral: vier Etagen auf 120 qm. 2009 habe ich das Geschäft eröffnet, es arbeiten zwischen fünf und sieben Mitarbeiter für mich.

Die Zahl der Infizierten im Vereinten Königreich überschreitet inzwischen vier Millionen bei 60 Millionen Bürgern. Ich kann nur sagen: Die Deutschen jammern. Ich habe im ersten Lockdown einmalig 10.000 Pfund erhalten für drei Monate. Das reicht nicht, um die Kredite abzubezahlen. In UK gibt es drei Millionen Selbstständige, die durch das Netz der staatlichen Förderung gefallen sind. Ich gehöre dazu.

Angestellte bekommen bis zu 2.500 Pfund Unterstützung im Monat. Insgesamt sind es etwa 250.000 Friseure in UK. Wir befinden uns hier im dritten Lockdown. Der erste war vom 20.März bis 5.Juli 2020, der zweite vom 5. November bis 8. Dezember und der dritte begann am 20. Dezember und hält sicher noch bis 15. Februar an. Und selbst in den vier Monaten und zwei Wochen der Salonöffnung hatten wir nicht unendlich viele Kunden – die Menschen haben zu viel Angst sich anzustecken. Die Innenstadt von London war wie eine Geisterstadt – wo sonst 1.200 Angestellte in einem Büro arbeiten, waren vielleicht 20 im Gebäude.

Andererseits gab es auch Kunden, die uns ihre Wertschätzung gezeigt haben. Viele habe Color-Kits für zu Hause gekauft – für 25 bis 35 Pfund (28/40 Euro). Manche haben uns finanziell unterstützt und bis zu 300 Pfund in den Umschlag gesteckt. Ich habe die Salonschließung genutzt und beschlossen, die Krisen gut zu nutzen für mein Leben. Im Moment bin ich noch etwas schlapp, mein Immunsystem ist ziemlich runter, aber meine Gedanken sind positiv und ich habe viele Ideen für die Zukunft. Nicht klagen, sondern planen und machen!

Inge Handing, Tampa, USA: „Es gab Schecks über 1.200 Dollar zum Kaufanreiz.“

Ich lebe seit über 40 Jahren in Amerika und besitze einen Salon mit sechs Angestellten und einen Barbershop mit drei Angestellten. Gemeinsam mit meiner Tochter Tanja führe ich die Geschäfte. In den USA haben wir über 26 Millionen Infizierte, in Florida sind es 1,7 Millionen. Furchtbar.

Im März war ich noch mit meiner Enkelin in Colorado skifahren, da war schon etwas Panik um uns herum. Als wir zurück nach Tampa kamen, mussten wir vom 21. März bis 16. Mai die Salons schließen. Ich finde, vom Staat gab es gute Unterstützung. Meine Angestellten haben einen Scheck über 1.200 Dollar und 500 Dollar für jedes Kind bekommen (das galt für alle, die unter 75.000 Dollar im Jahr verdienen). Im Januar hat dann jeder noch einmal die Hälfte bekommen. Das sind Kaufanreize vom Staat, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Meine Leute sind auch die ganze Zeit zu 100 Prozent bezahlt worden, da wir einen Antrag für den Payroll Protection Plan eingereicht haben. Das heißt, wir haben Geld für zwei Monate bekommen: mindestens 75 Prozent davon musste für Löhne eingesetzt werden, was übrig war, konnte man für Miete und Nebenkosten nehmen. Es musste aber innerhalb von sieben Wochen aufgebraucht werden. Das kann ich jetzt noch einmal beantragen. Während des Lockdowns habe ich erstmal alles vorbereitet für die Wiedereröffnung: Hygienemittel auf Vorrat gekauft, den Salon desinfiziert, Plexiglasabtrennungen installiert für den Kundenabstand, alle Kunden angerufen und Mails geschrieben, um sie zu vertrösten, Außerhaus-Produktverkauf organisiert.

Dann habe ich jeden Tag Sport getrieben, habe mit meiner Enkelin über Skype Deutsch gelernt, gekocht und gebacken und es meinen Kindern und Freunden geliefert. Und: Ich bin Blut spenden gegangen, um wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten. Ich fühle mich teilweise etwas schlecht, wenn ich höre, was sich überall ereignet: New York und Kalifornien haben es so schwer. Wir leben in Florida. Das ist zwar einer von vier schwerstbetroffenen amerikanischen Staaten, auf der anderen Seite hat sich unser Gouverneur entschieden, dass Maskenpflicht herrscht. Das heißt: Alles ist offen und wir können arbeiten. Es ist trotzdem anstrengend und unsicher. Mein Umsatz war 2020 im Salon insgesamt 21 Prozent weniger, im Barbershop sogar 49 Prozent. Mal sehen, wie das weitergeht.

In sich selbst zu investieren, zahlt sich immer aus!