Krisensicheres (Ausbildungs-)Konzept: „Mitarbeiterproblem – was ist das?“

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Jörg Mengel Friseure
Bei Jörg Mengel (rechts) ist Team-Ausbildung Chefsache!
Jörg Mengel Friseure
Bei Jörg Mengel (rechts) ist Team-Ausbildung Chefsache!

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„Ich kenne kein Mitarbeiterproblem!“ Wenn ein Friseurunternehmer dieser Tage einen solchen Satz über den Äther schickt, macht das mehr als nur stutzig. Entweder er ist ein eingeschweißter 1-Mann-Betrieb oder er hat derzeit eine kaum nachvollziehbare Glücksträhne. Auf Jörg Mengel aus Weilheim trifft keins von beidem zu. Sein Geheimnis: Entgegen des Branchentrends bildet er eifrig aus und rekrutiert seine Mitarbeiter aus den eigenen Reihen. Mit erstaunlichem Ergebnis: Er musste seit 20 Jahren (!) keinen externen Gesellen mehr einstellen. FMFM fragt den Querdenker, was er alles anders macht. Und das ist eine Menge.

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Jörg, du sagst, dass du im Salon kein Mitarbeiterproblem kennst. Bei einem Salon mit 12 Mitarbeitern klingt das ganz schön vollmundig!

Jörg: Ja, es ist aber tatsächlich so, dass ich seit 20 Jahren keinen Mitarbeiter bzw. Gesellen mehr vom freien Markt eingestellt habe. Im Gegenteil: Ich habe derzeit 5 Azubis, die alle hoffen, dass ich sie übernehmen kann. Ich bin sozusagen aus unternehmerischer Sicht ein Selbstversorger.

 

Ausbilden ist mühsam, teuer, anstrengend. Das sagen zumindest viele deiner Kollegen…

Jörg: Ja, so sehen es viele Unternehmer, ich weiß. Deshalb ist die Friseurbranche ja auch so ausbildungsmüde geworden. Ich persönlich sehe das anders. Anstrengend ist es bisweilen, das ist sicher so. Aber teuer ist es nur dann, wenn ich die Auszubildenden nicht umsatzrelevant einsetze. Wenn sie nur Haare zusammenkehren, Spiegel putzen und Handtücher falten. Dann sind Azubis übrigens nicht nur teuer, sondern auch komplett frustriert – und brechen ab. Das ist bei uns anders. Wir sind alle sehr motiviert, der Nachwuchs und wir Ausbilder auch.

 

Was genau machst du anders?

Jörg: Vermutlich vieles. Ich kann mich noch sehr gut an meine eigene Lehrzeit erinnern. Da hieß es von meinem Ausbilder: „Stell dich neben den Stuhl und schau mir zu!“ Das ist, als sollte man Klavierspielen lernen, wenn man neben dem Klavier steht und zuguckt, wie der andere spielt. Das kann doch nicht funktionieren. Meine Azubis sollen so früh wie möglich ins Handeln kommen, in Interaktion mit den Kunden treten. Das ist meine Aufgabe! Nur so bekommen sie Erfahrung, Motivation und bleiben am Ball. Azubis werden bei uns vom ersten Tag an ernstgenommen und wertgeschätzt. Sie sind eine entscheidende Säule im Unternehmen, weil sie es sind, die im Salon den ersten Kontakt zum Kunden haben, ihn oder sie in Empfang nehmen und zum Platz bringen. So erfahren sie von Anfang an, dass sie extrem wichtig sind.

 

Und das alles können sie direkt?

Jörg: Nicht sofort, aber wenn man sich Zeit nimmt, es ihnen beizubringen, ist das sehr schnell möglich! Sie an die Aufgaben ranführen, erklären, machen lassen. Das ist das Wichtigste für menschliches und berufliches Wachstum. Daher ist meine Überzeugung auch die, dass Aus- und Weiterbildung Chefsache ist! Ich plane konsequent 1/3 meiner Wochenarbeitszeit für die Ausbildung meiner Mitarbeiter ein. Das heißt, dass ich mich für diese Zeit aktiv aus dem Kundenterminplan austrage.

 

Wow, das wirkt üppig!

Jörg: Das ist es auch. Aber ich betrachte das als Investition in die berufliche Zukunft. In meine eigene Zukunft und die meiner Mitarbeiter! Was glaubst du, wieviel Umsatz Lehrlinge im 3. Jahr machen können, wenn man sie wirklich ausbildet und machen lässt. Klar kann ich im Hier und Jetzt arbeiten und sagen „Ich bilde nicht aus“. Aber du siehst es ja selbst, was dann passiert: Viele Kollegen finden einfach kein Personal. Und das kann nicht selten existenzbedrohend sein. Bei uns gibt es dagegen regelmäßig Tränen, wenn ich nicht alle Azubis übernehmen kann. Ich nehme das als Kompliment.

 

Stimmt, Mitarbeiter, die nach der Ausbildung im Ausbildungsbetrieb bleiben wollen, gibt es nicht so viele.

Jörg: Genau. Aber mal ehrlich: Wenn meine fertigen Gesellen direkt nach der Prüfung das Bedürfnis haben, sich nur woanders weiterentwickeln zu können, habe ich doch als Ausbilder etwas falsch gemacht! Sie waren 3 Jahre bei mir, haben schon eigene Kunden – und dann gehen sie?! Bei uns nicht. Ich habe den Anspruch an mich, jeden Azubi individuell und ressourcenorientiert auszubilden. So können Mitarbeiter ihren Interessen und Talenten folgen. Auch nach der Ausbildung.

 

Wie sieht das konkret aus?

Jörg: Ich klopfe von Beginn der Ausbildung an ab, welche Interessenlage vorliegt, damit die Lehrlinge ihre Ausbildungszeit selbst mitgestalten können. Es gibt ja meist etwas, womit sich ein Mensch eher schwertut und andere Dinge, die Spaß machen und schnell gut laufen. Das motiviert. Natürlich gibt es viele Ausbildungsinhalte, die nicht verhandelbar sind. Es geht ja auch nicht darum, das „Ob“ zu verhandeln, sondern das „Wie“ und „Wann“. Es geht zunächst darum, Motivation zu schaffen, dann ziehen die anderen Sachen nach. Mit Erfahrung im Rücken lernt es sich einfacher! Es ist doch kein Problem, das Thema Highlights vorzuziehen, wenn sich jemand mit dem Wickeln von Dauerwelle schwertut. Wichtig ist nur: am Ende der Ausbildung muss alles Fachliche sitzen. Das tut es aber dann auch.

 

Das klingt optimistisch. Nicht wenige deiner Kollegen tun sich weniger leicht mit der Generation Y und deren Anspruch, ab Tag 1 auf Augenhöhe zu arbeiten.

Jörg: Viele Kollegen klagen, dass die junge Generation so schwierig sei und ziehen daraus die Konsequenz, nicht mehr auszubilden. Ich halte das für falsch und kurzsichtig. Das ist fast so, als würden Schreiner keine Einbauschränke mehr bauen, weil sie ihrer Ansicht nach kein gutes Eichenholz mehr bekommen. ICH als Ausbilder muss mich auf die Azubis einstellen, sie individuell fördern und fordern. Dann klappt das auch. Die Devise „Nicht zu schimpfen ist Lob genug“ macht keinen Sinn! Ich muss loben und bestärken! Schimpfen muss ich bei cleveren Azubis dagegen fast gar nicht. Die wissen und spüren selbst, wenn sie Mist gemacht haben. Ich bin überzeugt: Nur wenn junge Leute Wertschätzung und Verantwortung erfahren, gehen sie motiviert ans Werk. Und ehrlich gesagt war das schon immer so. Aller Hierarchie zum Trotz. Mit meiner positiven Grundhaltung mache ich eine völlig gegenteilige Erfahrung als meine Kollegen. Weißt du was: Ich hatte noch nie so gute Azubis wie heute!

 

Wie bitte?

Jörg: Es ist tatsächlich so! Wer früher nicht zur Ausbildung in der Bank oder beim Zahnarzt genommen wurde, wurde Friseur. Das ist heute längst nicht mehr der Fall! Wir haben 2018 und Fachkräftemangel. Kaum jemand verirrt sich zufällig in den Friseurberuf. Die Guten haben ganz andere Alternativen. Die jungen Leute heute sind informiert und motiviert. Von meinen derzeit 5 Auszubildenden sind 2 Abiturientinnen! Die eine sagte im Bewerbungsgespräch auf meine Frage, warum sie mit Abitur Friseurin werden wolle: „Ich glaube nicht, dass mir eine gute Allgemeinbildung in dem Beruf schadet.“ Das ist doch der Hammer. Und sie hat recht. Du glaubst nicht, wie motiviert sie ist. Sie weiß, dass das ein unglaublich toller und anspruchsvoller Beruf ist, und spürt das auch durch die Wertschätzung der Kunden. Für die anderen 3 gilt das natürlich ebenfalls. Alle 4 Azubis hatten kürzlich Jahreszeugnisse, wie ich sie in 30 Jahren meiner Karriere noch nicht gesehen habe: 3 hatten alle Fächer mit „Sehr gut“, eine von ihnen hatte ein einziges „Gut“, sonst nur Einsen.

 

Und wie findest du all diese Rohdiamanten?

Jörg: So komisch es klingt: sie kommen von alleine. Zugegeben, in den 90er-Jahren hatte ich noch 150 Bewerbungsmappen pro Jahr, heute nur noch 20-30. Aber die Qualität derjenigen, die sich bewerben, hat sich wie gesagt deutlich gesteigert. Ich hatte bislang kaum jemanden, der oder die abgebrochen hat. Das ist allerdings auch auf das Klima in der Salonmannschaft zurückzuführen. Bei uns entscheidet immer das ganze Team, wer zu uns passt. Ich habe noch nie jemanden eingestellt, den das Team nicht wollte.

 

Ist der Salon Mengel also ein Traumarbeitsplatz?

Jörg: Es scheint zumindest so (lacht). Selbst meine eigene Tochter wollte unbedingt bei mir die Ausbildung machen. Ich war gar nicht so scharf darauf. Sie hat dann erst mal einige Praktika in anderen Salons und Betrieben gemacht. Danach wollte sie es aber immer noch. Inzwischen arbeitet sie im 7. Gesellenjahr bei uns (lacht). Neulich hat das gesamte Team sogar an einem Samstagabend im Salon übernachtet – sie haben eine Pyjamaparty mit Matratzen und allem Drum und Dran gefeiert. Nachdem ich ihnen einen Stapel Pizza vorbeigebracht habe, waren jedoch alle der Meinung, dass der Chef jetzt gehen könnte. Das habe ich dann auch gemacht. Das muss ein Spaß gewesen sein!

Jörg Mengel Friseure