Rücklagen?! Was bleibt da überhaupt übrig von all der Arbeit?

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C. Funk
14. Juni 2024In Business, CoachingVon FMFM Team
Unbequeme Rechnung: Christian Funk über Rücklagen
C. Funk
Unbequeme Rechnung: Christian Funk über Rücklagen
14. Juni 2024In Business, CoachingVon FMFM Team

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Achtung, Achtung: Dies ist ein Juckpulver-Beitrag! Denn nichts anderes ist es, wenn Salonunternehmer, Coach und FMFM-Artist Christian Funk über das vermutlich unbeliebteste Wort der Branche schreibt: über Rücklagen! Und wie erwartet: Er weckt auf, rüttelt wach – und verursacht bei vielen – versprochen – einen gewissen Juckreiz! Aber er zeigt auch konstruktive Lösungen auf für jene, die sie denn hören wollen. Ab geht’s zum Juckpulver.

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RÜCKLAGEN sind ein heißes Thema, denn genau hier fehlt es den meisten Friseurunternehmern. Die Coronapandemie hat diese Schwäche so vieler Betriebe gnadenlos aufgedeckt! Saloninhaber haben schmerzhaft gelernt: Von einer hohen Auslastung allein kann ich nicht leben! Und innerhalb weniger Wochen standen Tausende von Unternehmen während des ersten Lockdowns am Abgrund. Ohne die fließenden Soforthilfen hätten die meisten die vier Wochen Zwangspause kaum überlebt!

Heute, mit etwas Abstand, darf ich es ja laut sagen: Das ist eigentlich ein Unding und ein unternehmerisches Komplettversagen! Wohl dem, der eine ausreichende Bonität bei seiner Bank hatte und bei dem sehr schnell die heute so kontrovers diskutierte Soforthilfe auf dem Konto angekommen war!

Rückblick

Aber warum war es denn eigentlich im großen Stil so, dass gerade die Friseurbranche so unglaublich schlecht mit der Situation klarkam?

Ich und meine Geschäftspartnerin Martina Jovanovic predigen stets: 

Mindestens 10 % des monatlichen Nettoumsatzes sollten für Rücklagen und Liquidität auf die hohe Kante gelegt werden! Und genau das sollte man schon bei der Preiskalkulation mit einplanen und berechnen. Langfristig sollten also mindestens 4–6 Lohnsummen für Liquidität, also für unvorhersehbare Belastungen, Ausfälle und garantiert anstehende Nachzahlungen, auf dem Konto verbleiben!

Natürlich müssen hier Salongröße, Mitarbeiterzahl, Kosten- und Lohnstrukturen verglichen werden. Pauschale Aussagen sind damit stets mit Vorsicht zu genießen. Natürlich gilt: Wer schon ein saftiges Polster hat, muss dieses nicht zwangsläufig weiter anwachsen lassen. Und wer solo unterwegs ist, ist ohne Polster quasi sofort weg vom Fenster und sollte hier eher mehr als zu wenige Rücklagen haben. Sprich: Je größer das Team, umso geringer das Risiko bei Ausfall einzelner Kräfte oder unvorhersehbaren Belastungen.

Übrigens: Wenn in einem Unternehmen Mitarbeiter oder gar Chef oder Chefin selbst ausfallen, bekommen wir keine Soforthilfe mehr vom Staat! Dann sind wir ohne Finanznetz schnell weg vom Fenster!

Aber, trauriger Fakt aus meiner Erfahrung ist: Das Einzige, was viele Friseurunternehmer oft auf dem Konto haben, sind überzogene Dispokredite und den festen Glauben, dass eine hohe Auslastung für Sicherheit sorgt! Wie und warum das zum Teil so desolat ausschaut, betrachten wir einmal kurz.

Die Gründe bestehen aus vielen Teilen:

  • Mangelnde Rentabilität: Friseure leisten reine Handarbeit und sie können ihre Arbeit nicht automatisieren. Zudem haben Sie nur einen sehr geringen Wareneinsatz. (verglichen mit anderen Branchen) Auch an teuren Ersatzteilen oder Geräten, die von anderen Handwerkern mit Gewinn an den Kunden veräußert werden, fehlt es unsere Branche weitgehend! Das bedeutet eigentlich: Wir Friseure müssten 40-60% teurer sein, um eine gesunde Rentabilität zu erzielen! Die Realität ist jedoch, dass wir Friseure unsere Lebenszeit in der Regel 30–40 % günstiger verkaufen!
  • Kaum realistisch kalkulierte Preisstrukturen, die weder einen ausreichenden Gewinn noch gesunde Rücklagen ermöglichen! Von der allgemein desolaten Lohnsituation will ich in diesem Beitrag gar nicht wieder anfangen. Fantasie und Schätzpreise ermöglichen jedoch eher selten gesunde Unternehmensentwicklungen.
  • Desolate Verkaufsumsätze in der Branche (Ø 2–3%), ohne dass Unternehmer und deren Mitarbeiter verstehen, dass man an einem verkauften Produkt oft das 3- bis 6-fache verdienen kann im Vergleich zur unrentablen HANDARBEIT. (Wichtig: Hierbei geht es nicht um das, was in die Kasse ankommt, sondern um das, was am Ende übrigbleibt – es folgt eine kurze Beschreibung) *
  • Nicht oder kaum verstandene betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA)! Viele Friseurunternehmer glauben, dass das „Vorläufige Ergebnis“ am unteren Ende ihrer BWA tatsächlich das Geld ist, welches dann auch auf ihrem Konto landet.

*Erklärung: Warum ist der Verkaufsumsatz mehr wert als der Umsatz einer Dienstleistung?

Nehmen wir das Beispiel Herrenhaarschnitt:

30 Min. für 30 €. Wenn netto mindestens 10 % für Rücklagen übrigbleiben sollen, bedeutet das: 2,50 € sind das, was von meinem Haarschnitt übrigbleibt. Vergleichen wir den Gewinn an einem verkauften Produkt: Je nach Anbieter und Marge bleiben nicht selten deutlich mehr als 10 € Reingewinn übrig! 2,50€ passen also ca. viermal in diese 10 €.“

Bedeutet: Ich müsste 4 Haarschnitte (2 Stunden Arbeitsleistung) erarbeiten, um den gleichen Überschuss erwirtschaften zu können, den ich allein durch das über den „Tresen schieben“ eines Profishampoos oder einer Haarkur verdiene!

Ein noch krasseres Beispiel: Ich mache einer Kundin 3 Tapes Extensions auf jeder Seite. Also eine Haarverdichtung. Hier kann ich je nach Anbieter bis zu 46 € Reingewinn nur durch den Verkauf der Haare verbuchen! 

Bedeutet: Ich müsste also 18,4 Haarschnitte (9,2 Stunden Arbeitsleistung) erarbeiten, um den gleichen Überschuss erwirtschaften zu können!

Geht’s noch wilder? Ja klar!

Angenommen, ich biete Extensions mit Tressen an – Haarverdichtung. Ein mir bekannter Anbieter kalkuliert ca. 30 Min. Einarbeitungszeit und einen Reingewinn nur durch den Verkauf der Haare von 450 €!

Bedeutet: Ich müsste also 180 Haarschnitte (90 Stunden Arbeitsleistung) erarbeiten, um den gleichen Überschuss erwirtschaften zu können!

  

Wer das Thema Lukrativität und rentable Dienstleistungen nun immer noch nicht verstanden hat, dem kann ich auch nicht mehr helfen! 

Wie oft hören Martina und ich bei unseren kostenlosen Erstberatungen, dass es dem Unternehmen laut BWA eigentlich ganz gut geht und auch die Aussagen, dass der Steuerberater eigentlich auch ganz zufrieden wäre. Fragen wir dann nach Liquidität und Rücklagen, wird meist rumgedruckst. Betrachten wir dann die BWA und erklären den Kollegen die Situation, wird ihnen meistens erst klar: Wie wenig sie eigentlich wirklich verdient haben!

Beispiel: Vorläufiges Ergebnis von Jan.-Dez.

45.000 € in 12 Monaten = 3.750 € Gewinn pro Monat. Das ist doch super, oder?
Ok, stop. Von den 3.750 € muss der Unternehmer noch seine Sozialversicherungen bezahlen. Sind wir gnädig und glauben an eine gute Welt, muss der Unternehmer für Altersvorsorge und Krankenkasse jeweils nur 500 € bezahlen! (Dass es schnell auch mal mehr als das Doppelte sein kann, darüber denken wir lieber nicht nach.)

Bleiben also plötzlich nur noch 2.750 € über! Aber komm, das ist netto doch auch richtig viel!

Äh, nee. Denn was viele gar nicht auf dem Schirm haben, ist, dass diese Summe noch versteuert werden muss. Auch etwaige Kredite mindern unsere Liquidität. Insbesondere nach der Pandemie sind viele Kollegen überschuldet, und Kredite und Sozialversicherungen für den Unternehmer sind keine Geschäftskosten, auch wenn diese vom Geschäftskonto geleistet werden!

Wenn es also gut läuft, fallen nicht mal 2.000 € für Unternehmerlohn und Rücklagenbildung in diesem Unternehmen an. Das alles ohne eine ausreichende Altersvorsorge und nur eine schlechte Versorgung im Krankheitsfall.

Die Wahrheit ist: Deutlich über 33 % der Friseurunternehmer geben an, dass sie nur 22.000 € Jahresumsatz (nicht Gewinn!) erwirtschaften. Weitere ca. 22 % schaffen unter 50.000 € Umsatz.

Nur magere 30 % der Salons liegen über 50.000 €, aber unter 125.000 € Umsatz! Legen wir hier durchschnittlich mal 20 % Gewinn zugrunde, ergeben diese Zahlen ein ernüchterndes Ergebnis!

125.000 × 20 % = 25.000 € – vorläufiges Ergebnis? 50.000 € x 20% = 10.000 € vorläufiges Ergebnis?

Bedeutet: Nur knapp 15 % der Friseursalons erreichen Gewinnlinien, die über dem Einkommen eines Hartz-4-Empfängers liegen, und nur sehr wenige haben so die Möglichkeit, gesunde Rücklagen zu erwirtschaften! Dass da bei vielen am Ende nur mit kreativen Kassenführungen und Beschiss bei Lohn- und Arbeitszeiten was hängen bleiben kann, erklärt sich so quasi von allein. Und Schwarzgeld können wir später eher nicht als Rettungsanker verwenden!

Rücklagen sind unter diesen Bedingungen auf keinen Fall zu erwirtschaften. Und warum wir Friseure bei Banken und Steuerprüfern ein katastrophales Ansehen haben, darüber müssen wir auch nicht lange sinnieren!

Ein Unternehmen ohne Rettungsnetz stürzt so also bei dem kleinsten Wackler ungebremst in die Tiefe und gefährdet so Arbeitsplätze und die Existenzen von Mitarbeitern! Leute, ich weiß, wovon ich spreche! Denn damals, im Jahre 2012, als ich all diese Fehler noch selbst in meinem Unternehmen vor mich hingetragen habe, stand ich ebenfalls so manchen Monat vor dem Exitus. Die Geschichte meiner erfolgreichen Pleite lest Ihr übrigens hier:
https://www.haarchitektur.de/die-geschichte-einer-gluecklichen-pleite-oder-wie-man-eine-schwere-krise-fuer-sich-nutzen-kann/

So nun aber hin zur geforderten Konstruktivität!

Wie erreichen wir denn das von mir beschriebene Rettungsnetz, sichern unsere Liquidität, können investieren und auch unvorhersehbare Belastungen überstehen?

Es gibt nur zwei Wege: a) Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten ausbauen oder b) professionelle Hilfe suchen: 

Beide Wege sind machbar. Doch Vorsicht: Auch wenn ich mir bei der Kalkulation helfen lasse, sollte ich zumindest grundlegende betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse haben, um Sachlagen, Prozesse und Strukturen verstehen zu können! Das ist übrigens selbst für die Mitarbeiter wichtig!

Kalkulation und realistische Preisstrukturen:

Nur sauber kalkulierte Preise, Lohnfaktoren und geplante Mitarbeiterleistung, die kalkulatorisch auf einer gesunden Ebene liegen, lassen sich sinnvolle und für alle Seiten lohnende Strukturen aufbauen. Erst wenn LöhneLeistungserwartungAuslastungGewinnerwartungenQualitätService und am Ende auch die Preise in einer vernünftigen Verbindung zueinander stehen, kann das System funktionieren! Preisanpassungen mit einer angepassten Strategie und einer entsprechend logischen und emotionsfreien Kommunikation sorgen für neue Preise. Ganz ohne Angst und Diskussionen!

Lukrative Dienstleistungen und Spezialisierung und Verkauf: 

Hohe Preise allein sind nicht unbedingt das Patentrezept. Nicht jeder ist in der Lage, ein hochpreisiges Konzept am Markt zu installieren, noch wird dies jeder wollen. Entsprechend wichtig ist es also, die Rentabilität durch lukrative Dienstleistungen und die lukrativste Verdienstquelle – also den Verkauf – auszubauen. Gerade mit hochwertigen und modernen Färbe- und Extensionstechniken lassen sich Verkaufsumsätze in die Dienstleistungen implementieren! Aber insbesondere bei Haarverdichtungen und -Verlängerungen ist der Gewinn am Verkauf der Haare (je nach Anbieter und Technik) allein hundertfach höher als bei einem Haarschnitt, den ich in der gleichen Zeit fertige!

Transparenz und Löhne:

Erst wenn ich es schaffe, meine Preise, Kosten und Unternehmensstrukturen transparent und nachvollziehbar erscheinen zu lassen, und ich den Wert meiner Arbeit lohnend und für alle Seiten nutzbringend und wertschätzend vertrete, akzeptieren Kunden ohne Diskussionen auch höhere Preise. Unkalkulierte, unlogische Schätz- und Fantasiepreise führen zu Unzufriedenheit und automatisch zu Diskussionen. (z. B. Gendergerechtigkeit) Ein Kunde, der bereit ist, wertschätzende Preise mitzugehen, erwartet hierbei eben auch eine besondere Qualität, aber nicht nur in der Arbeitsleistung! ServiceKommunikationBeratung und der Auftritt in Web bzw. Social Media sind hier Schlüsselelemente. Ein Kunde aber, der Höchstleistung auf allen Ebenen erwartet, der erwartet auch, dass der ihn bedienende TopStylist am Ende auch Top bezahlt wird! Top-Friseure, die super ausgebildet, motiviert und leistungsbreit sind, findet man nur weit jenseits von Mindestlöhnen und miesen Tarifen. Auch hier ist übrigens das Thema Transparenz unglaublich wichtig: Nur Mitarbeiter, die Preise-Kosten-Gewinne verstehen und zueinander in Verbindung bringen können, werden selbstbewusst hinter den Preisen stehen und aufhören, mit dem Portemonnaies der Kunden zu denken. Und sie werden eine saftige Preisanpassung selbstbewusst und wertschätzend mittragen!

Ja, ich weiß, das alles sind saftige Themen. Aber unsere Branche steht kurz vor dem Kollaps! Fachkräfte und Nachwuchsschwund sind allgegenwertig. Und die 55 % der Salons, die unter 50.000 € erwirtschaften – das kann doch wirklich niemand ernst nehmen! Wann fangen wir Friseure endlich an, uns als Unternehmer zu betrachten? Und wann fangen wir an, unseren eigenen Wert zu erkennen und uns selbst ernst zu nehmen!

Stand heute ist es doch so: Die Friseurbranche fungiert größtenteils im Hobbybereich und vergrault Fachkräfte und Nachwuchs! Dabei ist die meistgestellte Frage unter Kundinnen die: „Wie finde ich nur einen GUTEN Friseur?“ Der Satz, den ich übrigens von meinen Neukunden oft höre, ist: „Ich bin noch nie so gut beraten worden.“ Warum machen das nicht alle Friseure so?

Lasst es uns anpacken, diese Misere endlich zu beenden.

Euer Christian Funk

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14. Juni 2024In Business, CoachingVon FMFM Team