Thorsten Hussfeldt: „Mir fehlt der Mittelweg!“

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Thorsten Hussfeldt 2018 bei einer Trend-Tour von GRAHAM HILL COSMETICS
Melanie Riedl
Thorsten Hussfeldt 2018 bei einer Trend-Tour von GRAHAM HILL COSMETICS

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In seinem Salon Capelli Group im schwäbischen Ludwigsburg beschäftigt Thorsten Hussfeldt vier Mitarbeiter und eine Auszubildende. Wie rund 80.000 SalonunternehmerInnen in Deutschland befinden auch er und sein Team sich seit dem 16. Dezember im Lockdown. Eine Maßnahme, für die Hussfeldt zwar Verständnis hat, gleichzeitig jedoch einen zielführenden Verhaltenskodex seiner Interessensvertretungen für die Zeit nach dem Re-Opening vermisst.

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Von Thorsten Hussfeldt

Bitte nicht falsch verstehen! Ich bin nicht dagegen, dass die Friseursalons geschlossen wurden. Die Infektionszahlen waren Ende vergangenen Jahres einfach viel zu hoch, keine Frage! Wobei ich zugeben muss, dass mein Team und ich gerne noch wenigstens bis zum 24.12. gearbeitet hätten! Und vor dem Hintergrund, dass die sogenannte Dezemberhilfe mit 75 % Erstattung des Umsatzverlustes im Vergleich zum Vorjahresmonat anderen Branchen seitens der Regierung berechtigterweise zugestanden wurde, Friseuren aber nicht, ist das natürlich doppelt bitter für uns!

 

Nach dem ersten Lockdown war Corona in vielen Köpfen grau unterlegt

Als wir nach dem ersten Lockdown unsere Salons Anfang Mai wieder öffnen durften, stimmte mich das für das verbleibende Jahr 2020 sehr optimistisch. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass – mit all den Hygienemaßnahmen und der Empathie der Bevölkerung – im Herbst sogar wieder Veranstaltungen möglich sein würden. Die Euphorie legte sich bei mir jedoch sehr schnell mit den umgehenden Forderungen nach vielen für mich unfassbaren Lockerungen, denen dann oftmals auch tatsächlich stattgegeben wurde. Anstatt froh zu sein, überhaupt wieder arbeiten zu dürfen, wollte man so schnell wie möglich die „alte Emotion“ wiederhaben, in der eine Pandemie nichts zu suchen hat, einfach nicht stattfindet und weggeatmet wird! Wobei sich dieses Phänomen nicht nur durch unsere Friseurbranche zog. Jedenfalls, so hatte es den Anschein – war Corona in vielen Köpfen ganz schnell grau unterlegt, zwar latent noch vorhanden, aber nicht mehr anklickbar! Einfach ausgeblendet, obwohl es im gesamten Jahr 2020 zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd eine Entwarnung gab.

Wir Friseure waren also happy, als wir nach sechs Wochen Lockdown wieder arbeiten durften, wenngleich mit strengsten Hygiene- und Arbeitsschutzstandards zum Wohle unserer KundInnen und zu unserer eigenen Sicherheit. Schneller als die Salontüren aufgeschlossen waren, wurde jedoch bereits über die Zumutung des Masketragens gestöhnt, darüber lamentiert, dass gesichtsnahe Dienstleistungen wie Augenbrauen- und Wimpern färben vorerst verboten bleiben sowie über unzumutbare Service-Sanktionen wie Zeitschriften auslegen und Espresso servieren. Und da war es wieder: Das Jammern auf hohem Niveau! Vergessen die Existenzängste der vorherigen Wochen, als der Salon dunkel blieb. Über den Sommer bis in den späten Herbst hinein wurde dann auf föderalistischem Boden diskutiert und kritisiert, was das Zeug hielt! Der Druck auf die Regierung wuchs! Entscheidungen über weitere Lockerungen, mehr oder minder nachvollziehbar geschweige denn zielführend, wurden auf Länderebene, ja sogar innerhalb Kommunen, getroffen! Die Konsequenz: Im Einzelhandel lockerte man Kraft eigener Arroganz die Höchstanzahl der BesucherInnen, das Gedrängel in den Fußgängerzonen wurde wieder zum Alltag, die Masken hingen oftmals auf Halbmast.

Warum sind wir nicht lernfähig?

So, und dann kam Ende Oktober die dicke Rechnung! Denn seitdem befindet sich Deutschland im zweiten Lockdown, wir Friseure seit Mitte Dezember. Ende ungewiss! Und was ist diesmal anders? Nichts! Denn wie schon beim ersten Lockdown kocht in unserer Branche auch jetzt wieder jeder sein eigenes Süppchen! Und wieder ist die Regierung an allem schuld! Wieder wird auf den Tag X hingefiebert, wenn auch wir Friseure voller Demut die Salontüren erneut aufsperren dürfen…und am nächsten Tag sicherlich schon wieder übers Maske tragen – diesmal vermutlich auch noch über FFP2 – klagen werden.

Warum sind wir so gar nicht lernfähig? Warum vernachlässigen wir es, Zeiten während oder nach einem Lockdown als Chance zu nutzen, um neue Wege zu gehen? Warum machen wir aus etwas vermeintlich Negativem nicht einfach etwas Positives? Mal ehrlich, es hat einen Grund, warum Magen-Darminfekte und Erkältungskrankheiten jenseits von Corona in 2020 und auch im neuen Jahr keine signifikante Rolle mehr spielen! Das Maske tragen hat sich hier nämlich bewährt! Was spricht also dagegen, künftig von September bis März automatisch eine Maske beim Einkaufen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Friseursalon zu tragen? Wetten, dass wir somit in den Salons die sonst in dieser Jahreszeit so dominante Absagewelle abwenden könnten? Denn was nutzen uns offene Läden, wenn die Kunden krank im Bett liegen oder noch schlimmer, kommen und uns anstecken? Und nein, ich bin kein Masken-Fetischist!

Weiteres Beispiel: Auch die Veranstaltungsbranche muss umdenken. Neue, sichere Konzepte müssen her! Auch eine Fachmesse wie die Top Hair wird Ende Mai zum angekündigten Termin sicherlich nicht mehr so stattfinden wie in der Vergangenheit mit 40.000 BesucherInnen, die sich innerhalb von 2 Tagen durch 2 Messehallen drängen. Wir können doch jetzt nicht einfach so tun, als wäre die Pandemie in dem Moment Vergangenheit, wenn der Lockdown gelockert bzw. aufgehoben wird!

Seit Wochen dunkel! Die Capelli-Group in Ludwigsburg Seit Wochen dunkel! Die Capelli-Group in Ludwigsburg ©Karoline Kirchhof

Wir brauchen konjunkturelle Forderungen! Bitten reicht da nicht!

Was mir daher momentan fehlt, sind langfristige Strategien! Denn eines ist sicher: Wir müssen lernen, mit Corona zu leben. Ein „Nach Corona“ wird es meiner Meinung nach noch lange nicht geben. Unsere Welt wird nicht mehr die gleiche sein! Und wer weiß – vielleicht wird sie in manchen Bereichen sogar ein Stückchen besser! Was wir daher brauchen – und nicht nur wir Friseure – sind zielführende Lösungen von unseren Interessensvertretern, angepasst an die veränderte Situation. Und natürlich von unserer Regierung! Diese Häppchenpolitik muss aufhören! Das Geld wurde zu Beginn des ersten Lockdowns – ohne zu Ende zu denken – einfach rausgeballert, um es jetzt dann wieder zurückzufordern. Zugesagte Hilfen, wie die Überbrückungshilfe III – sind für uns UnternehmerInnen Tropfen auf dem heißen Stein und kommen zudem erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Wo ist hier ein gesellschaftlicher Verhaltenskodex erkennbar? Warum schließen sich die Berufsverbände des Handwerks nicht zusammen und nutzen ihre Macht gemeinsam aus? Warum setzt sich unser Berufsverband nicht mit reellen Forderungen für die Branche ein bzw. kommuniziert das nicht? Wir brauchen konjunkturelle Forderungen und kein Lamentieren über vermeintlich illegale Fußballerlooks. Warum hat unser Zentralverband nicht dafür gesorgt, dass wir Friseure – wie die Gastronomie, KosmetikerInnen, NaildesignerInnen, etc. ebenfalls von der 75% Dezemberhilfe profitieren?

Warum wird sich nicht mit Nachdruck stark gemacht für eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Friseurdienstleistungen auf 7 Prozent? Dadurch könnten wir höhere Löhne zahlen sowie Rücklagen für Zeiten wie diese bilden. Die Gastroverbände hatten das bereits im ersten Lockdown für ihre Mitglieder durchgesetzt. Es reicht nicht zu bitten, auch unser Verband muss fordern! Die Macht der Zahlen in unserem Handwerk wird einfach nicht genutzt!

Wir haben rund 1 Million Handwerksbetriebe, in denen 5,5 Millionen Mitarbeiter einen Jahresumsatz von 640 Milliarden Euro erwirtschaften. Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Automobilindustrie (832.000 Mitarbeiter, 436 Milliarden Euro Jahresumsatz) oder von Lufthansa (138.353 Mitarbeiter, 16 Milliarden Euro Umsatz), so wird deutlich, WER hier eine richtige Lobby hat und wer nicht. Die Automobilindustrie ist unglaublich vernetzt und wird stark subventioniert. Die Lufthansa hat seit Ausbruch der Pandemie 9 Milliarden Euro vom Staat erhalten!  *Quelle: Statista, Zeitraum: 2012-2019

Wir müssen einen 3. Lockdown vermeiden

Mir geht es hier keineswegs um Schuldzuweisungen, sondern lediglich darum, dass auch unsere Verbände und die Repräsentanten des Handwerks ihre politische Macht demonstrieren. Der Brandbrief, in dem es um irgendwelche Fußballer geht, hätte einen anderen Inhalt vertragen! Strategien müssen zuerst von den Verbänden kommen, die dann von der Regierung umgesetzt werden! Nicht umgekehrt!

Friseure haben sich in den letzten Wochen viel Gehör in der Öffentlichkeit geschafft und auf allen Kanälen mit großem Effekt auf die desaströse Situation aufmerksam gemacht. Das darf jetzt nicht verpuffen! Die Regierung weiß um unsere verzweifelte Lage! Daher müssen jetzt erst recht die Verbände und Handwerkskammern an einem Strang ziehen und unsere Forderungen mit allen Mitteln vorantreiben.

Ich würde mir daher wünschen, dass sich die Handwerkskammern zusammenschließen, um in Verbindung mit den Verbänden und unserem Dachverband größer und machtvoller auftreten zu können. Das Ziel muss doch sein: Wie vermeiden wir einen dritten Lockdown?

Zum Beispiel muss sich unser Handwerk genau JETZT mit Nachdruck öffentlich stark machen für eine Senkung der Mehrwertsteuer! Wir haben Wahljahr und ich gehe jede Wette ein, dass die Mehrwertsteuer innerhalb kürzester Zeit nach der Wahl mindestens auf 22 % angehoben wird.

Mir wird derzeit viel zu viel über Energie fressende Nebenschauplätze diskutiert. Das Ziel muss doch sein, nicht nur auf die Hilfen vom Staat zu hoffen, sondern langfristige Strategien zu entwickeln, wie wir unsere Geschäfte wieder nach oben bringen und künftig mit Corona existieren können. Und damit meine ich keine Diskussionen über Preiserhöhungen für unsere Kunden!

Wir stehen alle mit dem Rücken zur Wand! Ein Verhaltenskodex muss daher dringend her, damit unser Handwerk Zukunft hat. Eine Schwarz-Weiß-Denke hilft uns in dieser Krise – vor allem auch für die Zeit danach – nicht weiter. Was mir fehlt, ist ein sicherer Mittelweg, um unsere Branche in eine sichere Zukunft zu führen!

Thorsten Hussfeldt, Salonunternehmer und Creative Director von GLYNT Thorsten Hussfeldt, Salonunternehmer und Creative Director von GLYNT ©Melanie Riedl