„Verplempert keine Zeit mit Alleingängen!“

FMFM -friseur Site-Zecher
Moritz Stemmler
Jörg Zecher hat keine Lust mehr auf Alleingänge.
Moritz Stemmler
Jörg Zecher hat keine Lust mehr auf Alleingänge.

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Es ist aktuell eines der großen Themen der Branche: Soloselbstständigkeit versus Teamarbeit. Einer, der beide Seiten kennt, ist Jörg Zecher, FMFM-Artist und Friseurunternehmer aus Wismar. Wie er vom überzeugten Teamplayer zum Solisten wurde - und warum er nun gerne wieder zurück zu einem Team möchte, hat er Daniela Hamburger im Interview verraten.

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Lieber Jörg, Du bist in einer Friseurfamilie in der DDR aufgewachsen. Hat das Deine positive Einstellung zu großen Teams gefördert?

Auf jeden Fall! Schon als kleiner Steppke bin ich mit dem Besen durch Opas Salon gefegt. Er führte damals ein Unternehmen mit zehn Mitarbeitenden, für einen kleinen Ort wie Warin war das schon eine große Nummer. Auch in dem PGH-Salon, in dem mein Vater angestellter Meister war, ging ich nach der Schule ein und aus. Hier arbeiteten sogar 30 Leute und jeder kannte den kleinen Jörg, so dass ich ganz selbstverständlich in diese großen Teams hineingewachsen bin.

Gibt es denn solche Teams wie früher heute überhaupt noch? Menschen, die ihr ganzes Leben im gleichen Friseurbetrieb arbeiten?

Damals haben wirklich viele eine lange Zeit im gleichen Salon gearbeitet. Als das Unternehmen von meinem Vater auf mich überging, habe ich auch eine Mitarbeiterin von ihm übernommen, die 49 Jahre lang dort gearbeitet hatte. Heute haben wir natürlich eine ganz andere Situation. Trotzdem gelingt es Topsalons noch heute, stabile Teams aufzubauen und zu halten.

„Ich bin komplett blauäugig in die Selbstständigkeit gestolpert“

Es scheint aber nicht immer leicht zu sein, das richtige Team um sich zu scharen. Du sagst, du habest bis zur Coronakrise z. T. mit den falschen Mitarbeitenden gearbeitet, dich zu wenig auf das Team und dessen Entwicklung konzentriert. Woran hast Du das gemerkt? Wo hat’s geklemmt?

Ich konnte mich nicht auf die Mitarbeiterführung konzentrieren, weil ich damit beschäftigt war, mein Team zu ernähren. Lass mich ein bisschen ausholen, um das zu erklären: Nach dem Abi bin ich zur Bundeswehr gegangen, dann in die Lehre und unmittelbar danach habe ich mich selbstständig gemacht. Da war ich 20. Ich hielt mich für cooler und schlauer als alle anderen, insbesondere als mein Vater. Ich wollte alles besser und vor allem anders machen! Ich übernahm einen kleinen Ecksalon inklusive Azubi und möbelte erstmal die Räumlichkeiten ordentlich auf: Ich holte mir Graffiti-Sprayer und machte alles wild und bunt – einen richtigen Szenesalon mit lauter Mucke eben. Cool zu sein und Trendfrisuren für die Jugendlichen zu entwickeln, das war das Wichtigste für mich. Ich holte mir noch einen Mitarbeiter dazu, bei dem ich mir allerdings keine Gedanken darüber machte, ob er überhaupt zu mir passt. Ehrlich gesagt, habe ich über gar nichts genau nachgedacht, geschweige denn irgendwas berechnet. Ich bin komplett blauäugig in diese Selbstständigkeit reingestolpert und machte alles nach Gefühl. Irgendwann hatte ich ein Team von vier Leuten, zog in einen größeren Salon um und stockte sogar auf sieben Mitarbeitende auf. Und obwohl ich damals zusätzlich als internationaler Trainer für eine Friseurmarke auf der ganzen Welt unterwegs war, morgens immer als erster anfing zu arbeiten und abends als letzter aufhörte, blieb auch nach fünf Jahren Selbstständigkeit kein Geld bei mir hängen. Die Meisterausbildung war mir auch keine Hilfe, weil man dort zwar die wirtschaftlichen Zahlen lernt, aber für konkrete Situationen einfach zu wenig ausgebildet ist. Das Thema Teamführung hatte ich völlig aus den Augen verloren. Meine Mitarbeitenden hatten gefühlt dauernd frei und hinter meinem Rücken ging’s drunter und drüber.

Meine spätere Partnerin war eines Tages Kundin in meinem Salon, als ich gerade nicht da war. Sie beschwerte sich bei mir über die schlechte Behandlung, was ich zum Anlass nahm, mein Team mit dem negativen Feedback zu konfrontieren. Die Mitarbeiter*innen ließen keine Kritik zu und wollten vor allem keine Veränderung. Klar, sie hatten ja ein schönes, bequemes Leben und bekamen ihr Geld. Als sie merkten, dass ich so nicht weitermachen will, sondern Engagement von ihnen verlange, kündigte einer nach dem anderen. Heißt: Ein Jahr vor der Coronakrise waren schließlich alle weg und ich alleine.

Und dann? Wie ging’s für Dich weiter?

In der Coronazeit war das Alleinesein erstmal gar nicht schlecht. Ich musste mich nicht mit Dingen wie Kurzarbeitergeld auseinandersetzen und hatte keine Verantwortung. Ich nutzte die Zeit stattdessen zum Nachdenken. Durch Initiativen wie „Rock your Salon“ und „Grenzenlos“ sind mir viele Dinge klargeworden.

Was denn konkret?

Wer jetzt noch nicht aufgewacht ist, wird auch nicht mehr wach! Ich bin dagegen aufgewacht und sehe meine Fehler aus der Vergangenheit. Ich muss ganz ehrlich zugeben: Ich habe meine Mitarbeitenden überhaupt nicht geführt. Nun, da ich das weiß und damit meine Schwäche kenne, ist das aber für mich die Chance, gegenzusteuern. Und ich weiß, dass ich wieder Mitarbeitende um mich haben möchte.

„Niemand weiß, wie lange er mit voller Kraft arbeiten kann“

Warum ist es Dir so wichtig, wieder ein Team zu haben?

Allein zu sein, mag ja für den ein oder anderen für eine Weile okay sein. Aber angesichts der Kosten kommen nur die Allerwenigsten auf einen grünen Zweig – auch im Hinblick auf die Rente. Und was ist, wenn man krank wird? Ich selbst habe Probleme mit der Halswirbelsäule und derzeit auch mit tauben Fingerspitzen. Ich sag’s ganz deutlich: Den körperlichen Verfall des Alters kann man nicht planen und schon gar nicht aufhalten. Wie lange kann ich noch mit voller Kraft arbeiten? Niemand weiß das. Ein Team ist für mich die Voraussetzung für gesundes Arbeiten und finanzielle Stabilität. In einem guten Team profitiert jeder von jedem.

Wie möchtest Du denn am liebsten Dein Team zusammensetzen? Und wie groß sollte es optimalerweise sein?

Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll mein Team mindestens vier bis fünf Mitarbeitende umfassen. Ich selbst bin „Schnibbler“, also Schnittprofi, und darauf ist auch mein Schwerpunkt ausgerichtet. Mein Salon ist für gute Schnitte bekannt. Ich brauche also zunächst Teammitglieder, die ebenfalls fit im Schnitt sind, daneben aber natürlich auch die Farbbasis solide beherrschen. Im nächsten Schritt wünsche ich mir dann Spezialist*innen für Farbtechniken wie Balayage, um auch diesen Bereich gut abzudecken. Langfristig möchte ich mindestens zehn Mitarbeitende und in einen größeren Salon umziehen.

„Weiterhin Zeit zu verplempern, kann ich mir nicht leisten“

Wow, das sind ganz schön viele – so von null auf zehn?

Ja, aber anders geht es nicht! Ich habe 20 Jahre Berufserfahrung hinter mir und in der Zeit leider auch viel im Sand gespielt – das heißt, ich habe wertvolle Zeit verplempert. Das kann ich mir für die nächsten 20 Jahre nicht mehr leisten. Ich werde definitiv ein Premiumkonzept fahren. Falls ich nicht genug Mitarbeitende dafür bekomme, tritt Plan B in Kraft. Dann mache ich einen kleinen Edelsalon im Hochpreissegment mit zwei bis drei Mitarbeitenden. Ob Wismar das hergibt, muss ich dann sehen.

„Ich muss meine Vision kennen, um Mitarbeitende auf den Weg mitnehmen zu können“

Und wie weit bist Du mittlerweile mit dem Aufbau Deines Teams? Wie bekommst Du Mitarbeiter*innen?

Aktuell arbeitet eine Mitarbeiterin aus dem Irak bei mir, ihre Schwester fängt im Herbst als Auszubildende an. Sie baue ich aktuell auf, so dass ich Zeit habe, mich abseits der Arbeit am Stuhl um das Unternehmen zu kümmern. Seit April besuche ich dazu ein Mentoringprogramm von „Rock your Salon“. In dem Rahmen lerne ich nun, was es heißt, zu führen, meine Positionierung zu finden und meine Ziele zu definieren. Wenn ich mir da klar bin, gehe ich ins Recruiting. Vorher nicht, denn ich muss erst meine Visionen kennen, bevor ich Mitarbeitende von meinem Weg überzeugen und sie mitnehmen kann. Ich weiß, dass Mitarbeitersuche auch mit Kosten verbunden ist. Ich will z. B. ein Video für die Social Media Kanäle machen und Google-Anzeigen schalten, um sichtbar zu sein.

Und wie soll Dein neuer Führungsstil dann aussehen?

Genau das lerne ich aktuell im Mentoringprogramm. Bisher habe ich ja gar nicht geführt, das habe ich eingesehen. Ich will es nun aber lernen! Wichtig sind mir auf jeden Fall regelmäßige Teammeetings und teambildende Maßnahmen, um immer in engem Austausch mit meinen Leuten zu sein. Wenn ich die Führung nicht hinbekommen sollte, muss ich mir eine gute Führungskraft suchen.

Was denkst Du: Was brauchen Mitarbeitende heutzutage, damit sie gerne und zuverlässig in einem Friseurbetrieb arbeiten? Was muss ihnen geboten werden?

Man muss wissen, wie jede*r einzelne Mitarbeitende tickt. Welcher Typ ist er oder sie? Das musst du als Chef*in herausfinden. Es gibt manche, die Anerkennung über Kohle benötigen, anderen ist Freizeit zum Partymachen wichtig, wieder andere stellen es an die erste Stelle, pünktlich gehen zu können und fair und gerecht behandelt zu werden. Was aber für alle essenziell ist, ist ein gutes Grundgehalt: Bei entsprechenden Bedienpreisen müssen das mindesten drei bis vier Euro über dem Mindestlohn sein! Dazu kommt ein vernünftiges Provisionssystem und absolute Transparenz, was die Salonziele angeht. Und dann ist es wichtig, dass jede*r so arbeiten kann, wie es zu seinen Lebensumständen am besten passt. Zum Beispiel können Mütter super vormittags arbeiten, wenn die Kids in der Kita sind. Dann müssen sie aber pünktlich nach Hause, um sich um sie zu kümmern. Aber es spricht doch auch nichts dagegen, dass sie abends dann nochmal zwei Stunden kommen, wenn sie das möchten. Da sollte das Team sich gegenseitig unterstützen und der Chef oder die Chefin Flexibilität zulassen.

Wohin möchtest Du Dein Team langfristig führen?

Wichtig ist mir, dass jede*r Einzelne so viel verdient, dass er und sie gut davon leben kann. Zusatzjobs zum Friseursein sind ein No-Go! Außerdem wünsche ich mir, dass aus den Teammitgliedern eine kleine Familie wird, vielleicht ein bisschen wie zu DDR-Zeiten. Schön ist, wenn alle ein gutes Verhältnis haben und eine angenehme Arbeitsatmosphäre herrscht. Das soll über die teambildenden Maßnahmen erreicht werden. Nur im Team kann man wachsen, sich weiterentwickeln und das braucht unsere Branche dringend. Ich jedenfalls schaue gerne nach vorne – in eine gute gemeinsame Zukunft.