„20,5 % der Azubis sind unterfordert – und die Branche wundert sich über den Fachkräftemangel?“

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Fotos: privat
v.l.n.r. Luca Carlucci. Ehepaar Mehlfeld und Roberto Romainczyk
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Die Friseurausbildung ist im freien Fall – und niemand stoppt den Absturz! Für Salonunternehmer Tim Mehlfeld und Partner von Salonkee und Oway höchste Zeit, zu einer offenen Diskussion zu laden. Das Ziel: mit Ausbildungsverantwortlichen und Branchenkennern über die reale Situation der Friseurausbildung in Deutschland zu sprechen. Was als Diskussion gedacht war, wurde schnell zu einem ungeschönten Blick auf ein System, das strukturell an seine Grenzen gekommen ist. Tims Fazit.

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Die Zahlen sind eindeutig – und niemand kann behaupten, er hätte es nicht gewusst! Der DGB-Ausbildungsreport 2025 liefert keine Meinungen, sondern Fakten: 37,5 Prozent der Friseur-Azubis fühlen sich über- oder unterfordert. 20,5 Prozent sind unterfordert – der höchste Wert aller untersuchten Ausbildungsberufe.

Unterforderung ist kein Komfortproblem

Unterforderung ist ein klares Zeichen für ein Systemversagen. Sie zeigt, dass Lernziele, betriebliche Realität und schulische Inhalte vielerorts nicht mehr zusammenpassen. In den Gesprächen des Events wurde deutlich: Diese Diskrepanz ist kein Einzelfall, sondern Alltag in deutschen Friseurbetrieben.

Der blinde Fleck der Branche: Die Struktur ist das Problem – nicht die Jugend

Das Friseurhandwerk besteht heute zu 70–80 Prozent aus Kleinstbetrieben, in denen die Inhaberinnen und Inhaber selbst der wichtigste Umsatzträger sind. In solchen Strukturen bleiben Ausbildung, Feedback, Anleitung und pädagogische Begleitung zwangsläufig auf der Strecke – nicht aus bösem Willen, sondern aus realem Zeit- und Kostendruck.

Gleichzeitig steigen die wirtschaftlichen Belastungen. Der Mindestlohn wirkt direkt auf personalintensive Betriebe. Parallel werden politisch höhere Ausbildungsvergütungen diskutiert – jedoch ohne tragfähige Finanzierungsmodelle für die Praxis. So entsteht ein paradoxes System: Ein Beruf, der Nachwuchs gewinnen will, überfordert die wenigen Betriebe, die überhaupt noch ausbilden.

Digitalisierung & Nachhaltigkeit – nicht Trend, sondern neuer Standard

Oway – Roberto Romainczyk: „Wer Werte vermittelt, bindet junge Menschen“

Roberto Romainczyk zeigte auf, welche zentrale Rolle Sinnstiftung und Werte für die junge Generation spielen. Sein Kerngedanke: „Wenn wir wollen, dass junge Menschen bleiben, müssen wir ihnen zeigen, wofür dieser Beruf steht. Nachhaltigkeit ist kein Trend – sie ist ein Wert, der Orientierung gibt. Wer glaubwürdig handelt, gewinnt Bindung.“

Er machte deutlich, dass viele Ausbildungsabbrüche weniger fachliche, sondern kulturelle Ursachen haben. Jugendliche suchen nach Haltung, Verantwortung und Authentizität – und finden diese in der Branche noch zu selten.

Salonkee – Luca Carlucci: „Digitalisierung muss Teil der Ausbildung werden“

Luca Carlucci stellte die Bedeutung digitaler Kompetenz für die Zukunft des Handwerks heraus. Seine Forderung war klar: „Digitalisierung darf kein optionaler Zusatz sein. Der Umgang mit Salonsoftware gehört zwingend ins Berufsbild – ohne digitale Kompetenz ist moderne Salonarbeit kaum mehr möglich.“

Er zeigte auf, dass digitale Systeme nicht nur Prozesse optimieren, sondern  Ausbildung vor allem planbar, nachvollziehbar und strukturiert machen. Ein Punkt, der angesichts der hohen Unter- und Überforderung der Azubis besondere Relevanz besitzt.

Nur 10 Prozent tragen die Ausbildung – ein System vor dem Kipppunkt

Eine Zahl aus den Diskussionen wirkte besonders alarmierend: Nur etwa 10 Prozent der Betriebe bilden überhaupt noch aus. Das bedeutet, dass eine sehr kleine Minderheit die Ausbildung eines gesamten Berufsstandes trägt. Kein anderes gesellschaftliches System würde eine solche Schieflage langfristig überleben.

Ohne neue Modelle wie eine Ausbildungsumlage oder Formen geteilter Verantwortung zwischen Betrieben wird die Friseurausbildung weiter erodieren – schneller, als vielen bewusst ist.

Fazit

Die Friseurausbildung scheitert nicht an der jungen Generation. Sie scheitert an veralteten Strukturen, an ökonomischen Realitäten, die Ausbildung unattraktiv machen, und an der Illusion, dass Qualität ohne System entstehen kann. Wissen, Mut und Lösungsansätze existieren längst. Doch ohne strukturelle Unterstützung bleibt Ausbildung ein Luxus, den sich viele Betriebe schlicht nicht mehr leisten können.