Afrohaar: Es geht um mehr als Haarpflege – auch um Sichtbarkeit, Teilhabe und Gleichberechtigung!“

Sie sind der blinde Fleck in der Friseurausbildung: Afrohaare! Lockenspezialistin Abina Ntim, vom Wochenmagazin ZEIT zur Hamburgerin des Monats geadelt, möchte das ändern. Mit Schulungen, Workshops und eigenen Haarprodukten für Naturlocken die Gründerin des Start-ups JONA curly hair care all jene empowern, denen es an Know-how zu Eigenschaften, Pflege, Umgang und Styling von Afrohaar fehlt. Allen voran den eigentlichen Profi-Multiplikatoren in den Salons: Friseuren!
Abina, mit deinem Unternehmen JONA curly hair care machst du in Deutschland regelrechte Pionierarbeit in Sachen Afrohaar. Ganz herlich: Ist das Thema Afro-Haar in deutschen Friseursalons nicht schon längst überfällig?
Absolut – das Thema ist längst überfällig! Schwarze Menschen leben seit Jahrhunderten in Deutschland, und laut dem Afrozensus 2020 gibt es über eine Million Schwarze Menschen in Deutschland. Dennoch fehlt es bis heute an flächendeckender Expertise, an passenden Produkten und an professionellen Services für Afrohaare.
Das Friseurhandwerk muss endlich mit den gesellschaftlichen Realitäten Schritt halten. Denn es geht nicht nur um Haarpflege – es geht um Sichtbarkeit, Teilhabe und Gleichberechtigung im Alltag.
Das Wissen darum fehlt in der Ausbildungsordnung für das deutsche Friseurhandwerk. Welche Relevanz hat es in Deinen Augen?
Ganz einfach: Afrohaarkompetenz ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Muss für die Zukunft des Friseurhandwerks. Afrohaare haben nicht nur eine enorme kulturelle Bedeutung, sondern Kund*innen mit Afrohaar sind auch bereit, für hochwertige Services mehr zu bezahlen. In anderen Ländern ist Afrohaarkunde längst Teil der Ausbildung – Deutschland hinkt hier hinterher. Um konkurrenzfähig zu bleiben und den wachsenden Markt zu bedienen, muss diese Lücke geschlossen werden.
Der ‚Baustoff‘ ist ja für jedes Haar gleich, dennoch: Was ist anders am Afro-Haar, welche Bedürfnisse hat es?
Afrohaar ist einzigartig und bietet eine beeindruckende Vielseitigkeit. Es hält Frisuren besonders gut und lange, was es ideal für eine Vielzahl von Stylings macht. Diese Haarstruktur ist extrem vielseitig – von natürlichen Locken bis zu kunstvollen Flechtfrisuren, Afrohaar eröffnet unzählige Möglichkeiten und betont die individuelle Schönheit. Gleichzeitig neigt es dazu, Feuchtigkeit schneller zu verlieren, weshalb eine gezielte Feuchtigkeitspflege essenziell ist, um es gesund und geschmeidig zu halten. Schützende Frisuren fördern das Haarwachstum, und der nächtliche Schutz durch Satin Caps ist ein wichtiger Bestandteil der Pflegeroutine, um Feuchtigkeit zu bewahren und Reibung zu minimieren.
Was sind Deine Schulungsinhalte?
In meinen Schulungen vermittle ich praxisnahes Wissen über die Besonderheiten von Afrohaar. Die Inhalte umfassen Grundlagen der Haarstruktur und -typen, Pflege- und Stylingtechniken speziell für Afrohaar, den Umgang mit schützenden Frisuren und natürlichen Locken sowie die Beratungskompetenz für Kund*innen mit Afrohaar. Ein wichtiger Bestandteil ist auch die Marketingberatung: Wir zeigen Friseur*innen, wie sie diese neue Kundengruppe gezielt ansprechen und ihr Angebot entsprechend positionieren können. Diese Schulungen sind nicht nur ein Gewinn an Expertise, sondern eröffnen Friseur*innen auch neue Kundengruppen und stärken ihre Position im Markt. Die Nachfrage nach professioneller Afrohaarpflege wächst stetig – wer hier gut aufgestellt ist, profitiert langfristig.
Pflege- und Stylingprodukte gibt es eher online. Hat die deutsche Industrie Nachholbedarf?
Auf jeden Fall. Aktuell sind Verbraucher*innen in Deutschland darauf angewiesen, Produkte aus den USA zu importieren, weil es hierzulande kaum passende Alternativen gibt. Das ist nicht nur umständlich, sondern auch riskant, weil die Inhaltsstoffregulierungen in den USA oft weniger streng sind als in Deutschland. Viele dieser Produkte enthalten bedenkliche und potenziell gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe. Mit meinem Online-Shop setze ich auf sichere, geprüfte Produkte und möchte so diese Lücke schließen.
Sind die Produkte Deines Shops eigens entwickelt worden, oder habt Ihr verschiedene Industrieprodukte, die im Handel sind, getestet und empfehlt bestimmte Marken/Produkte?
Ja, wir bieten sowohl eigens entwickelte Produkte als auch sorgfältig ausgewählte Markenartikel an. Ein Beispiel für unsere Eigenentwicklung sind unsere Satin Caps. Diese wurden konzipiert, um das Haar während des Schlafs vor Reibung zu schützen, Feuchtigkeit zu bewahren und Frizz zu reduzieren. Studien zeigen, dass Satin-Pillowcases und -Hauben helfen können, Haarbruch zu minimieren und die Feuchtigkeit im Haar zu halten. Darüber hinaus testen wir verschiedene Produkte auf ihre Eignung für unterschiedliche Haartypen und -bedürfnisse. Nur Produkte, die unseren Qualitätsstandards entsprechen und in der Praxis überzeugen, nehmen wir in unser Sortiment auf. Viele unserer Partnerfriseure in Deutschland nutzen und empfehlen diese Produkte bereits erfolgreich in ihren Salons.
Bei asiatischem Haar bestehen ja auch andere Bedürfnisse als beim europäischen, z. B. springt es beim Schneiden mit einer normalen Friseurschere leicht weg. Müsste es solche Schulungen, wie Du sie anbietest, nicht auch für asiatisches Haar geben?
Definitiv. Die Vielfalt der Haartypen in unserer Gesellschaft bringt unterschiedliche Anforderungen mit sich, und das Friseurhandwerk sollte darauf vorbereitet sein. Asiatisches Haar hat, genau wie afro-texturiertes Haar, spezielle Eigenschaften, die ein gezieltes Know-how erfordern. Es ist essenziell, dass Friseur*innen in der Lage sind, die unterschiedlichen Haartypen professionell zu behandeln, um den Ansprüchen aller Kund*innen gerecht zu werden.
Lest in den nächsten Tagen mehr zum Thema im Interview mit Claudia Küper, die in Zusammenarbeit mit Abina Ntim eine Schulung für Lehrkräfte im Berufsfeld Körperpflege in Schleswig-Holstein organisiert hat.