Akte Nachwuchsmangel – Stefanie Ehrich spricht Klartext!

FMFM -friseur Site-Ehrich

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Um den heißen Brei rumzureden ist Stefanie Ehrichs Sache nicht! Die Saloninhaberin und „Friseurunternehmerin des Jahres 2019“ aus Rostock spricht Tacheles. Gerade WEIL ihr die Ausbildung im Handwerk so am Herzen liegt, mag sie kein Blatt mehr vor den Mund nehmen und proklamiert knallhart, was sich aus ihrer Sicht alles ändern muss, um das Ruder in Sachen Nachwuchs endlich rumzureißen. Schönreden ist anders. Jetzt spricht Steffi.

Anzeige

Anzeige

Mitarbeitermangel – Fachkräftemangel – Nachwuchsmangel. Diese Schlagwörter bestimmen unseren beruflichen Alltag. In den Salons merken wir, dass Teams immer kleiner werden. Die Berufsschulen bekommen stellenweise keine oder kaum noch Klassen zusammen. Die Kunden merken, dass Termine bei Friseuren Mangelware werden.

Aber eigentlich trifft es ja alle Branchen. Letztens habe ich mich beobachtet, wie ich in einem wirklich guten Restaurant entschuldigend abgewunken habe, als der Service nicht wie gewohnt gelaufen ist. Man wundert sich kaum noch, wenn man in der Gastronomie erstaunliche Öffnungszeiten vorfindet und wegen halb leerer Gasträume und Personalmangels hungrige Kunden abgelehnt werden. Ich glaube, jeder von uns hat eine Geschichte, die von diesem Mangel berichtet.

Was ist passiert?

Oft fragen mich die Kunden, wohin denn die ganzen Menschen sind, die nicht mehr beim Friseur arbeiten. Und weißt du, genau diese Frage zeigt mir, wie blind und naiv wir als Gesellschaft in den letzten Jahren waren. Das Handwerk versucht seit Jahren, junge Menschen auf tolle Berufe aufmerksam zu machen, eben weil zu erwarten war, dass dieser Mangel entstehen wird. Nun, in Deutschland werden einfach zu wenige Babys geboren. Die Bildung der modernen Frau hat nämlich den Nachteil, dass genau diese Frau weniger Kinder bekommt in ihrem Leben. Diesen Prozess nennt man demografischen Wandel. Die Bevölkerungspyramide flacht immer weiter ab.

Für unseren Beruf bedeutet dies, dass gerade mehr Kollegen den Beruf verlassen, als neue dazukommen. Die Waage kippt. Leider nicht plötzlich. Lange genug hat man das ignoriert, aber Ignoranz hat das Problem leider nicht gelöst, sondern gerade in voller Hässlichkeit offenbart.  Fatal ist dabei, dass wir noch gar nicht im Tal angekommen sind. Seit dem Jahr 2008, mit dem Höchststand von 40.454 Friseur-Azubis, verzeichneten wir 2022 einen Gesamtrückgang von 65% des begehrten Nachwuchses. 2022 haben wir nur noch 14.174 gemeldete Lehrlinge im ersten bis dritten Lehrjahr (Quelle ZDH Statistik).

Vorhersehbares Elend

Dieser wirklich alte Werbefilm von vor 13 Jahren ist leider gar nicht so lustig und zeigt uns, wie unsere Zukunft aussehen könnte: https://www.youtube.com/watch?v=1TwIUgd7eb0

Unser gesellschaftliches Leben wird nicht mehr so schön sein, wenn wir unser Handwerk nicht schützen und fördern. Ein paar Plakate und kleine Teaser helfen da auch nicht. Die Kammern schlafen, die Innungen leider auch.

Was also tun gegen den Mangel?

Politisch wird damit reagiert, indem Fachkräfte aus dem Ausland eingeladen werden. Schön geredet wird dies damit, dass dann nach sieben Jahren ein Neubürger auf dem Arbeitsmarkt ankomme. Sicher, diese Ausnahmen gibt es. Die Realität schaut aber anders aus. Da Neubürger zwar Deutschkurse gesponsert bekommen, aber in keiner Prüfung durchfallen können, werden junge Menschen auf den Ausbildungsmarkt losgelassen, die schlichtweg keine deutsche Gesellenprüfung schaffen können. Einstiegsqualifizierungen können nur in wenigen Fällen helfen. Die meisten jungen Menschen bräuchten schlichtweg zusätzliche Nachhilfe und weiterhin Deutschunterricht, um unseren qualitativen Ansprüchen an einen Gesellenabschluss gerecht werden zu können. Denn ist ein Ausbildungsvertrag erst einmal geschlossen, ist zusätzliche Unterstützung für den Ausbilder und Lehrling so gut wie ausgeschlossen.

Natürlich kann ich als Unternehmen dennoch ausbilden, aber die Erfolgschancen fallen und die Kosten steigen. Ausbildung ist teuer geworden und aufreibend. Wenn die Erfolgschancen fallen, ist es doch nur verständlich, dass immer weniger Betriebe dazu motiviert sind. Denn auch mit den jungen Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, ist es anders geworden. Die Jugendlichen, die heute auf den Arbeitsmarkt kommen, starten mit anderen Werten und Erwartungen in ihr Arbeitsleben. Darüber regen sich ganz viele Ausbilder auf. Ja, kann man, aber letztlich haben wir als Gesellschaft diese Jugendlichen geformt.

Es gibt so viel zu tun

Das Problem, das ich persönlich habe, ist aber, dass die Ausbildung der Generation Z eine zeitraubende und kostspielige Angelegenheit geworden ist, die sich nicht nur auf die handwerklichen Fähigkeiten konzentriert. Heute sind wir ebenfalls Mentor und Coach in Umgangsformen, Höflichkeit, Menschlichkeit, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Belastbarkeit, Selbsteinschätzung und Achtung von Unternehmenswerten.

Ich klinge jetzt vielleicht hart, ja. Zum Glück gibt es soooo viele Perlen, die uns immer noch hoffen lassen, dass alles gut wird. Aber die Realität ist hart und tut weh. Mit einer fast 50%igen Abbruchrate, mitunter maßloser Selbstüberschätzung und oft konsequenter Handlungsunfähigkeit ist die Rentabilität von Ausbildung mittlerweile schlecht geworden. Der hohe Anspruch an Ausbildung macht es noch kostenintensiver. Und die steigenden Vergütungen machen es auch nicht leichter. Ich höre jetzt die Stimmen, die sagen, dass ein Welpe doch kaum etwas verdient. Stimmt. Aber die Erwartungen auf hohe Lebensstandards während der Ausbildung bleiben doch immer noch die Erwartungen der Auszubildenen.

Nehmen und geben

Sollte sich eigentlich nicht jeder angehende Friseur jeden Tag fragen, was er tun kann, damit es sich für sein Unternehmen lohnt, ihn auszubilden? Stattdessen drehen viele den Spieß um. Sie spielen Unternehmen durch ausgiebigen Krankenstand und fachliches Nichtwollen an die Wand und erwarten andererseits mehr Geld, Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten. Dabei vergessen sie, dass Streicheleinheiten, Aufmerksamkeit und Ausbildung Zeit kosten. Zeit eines Ausbilders, der in dieser Zeit auf Umsatz verzichtet. Umsatz, der das Gehalt von Ausbilder und Auszubildenden finanziert. Kein Unternehmen ist die Wohlfahrt. Unternehmen haben ein Ziel: Wirtschaftlichkeit. Kein Unternehmen ist zur Ausbildung verpflichtet. Die Entscheidung, dies dennoch zu tun, ist ein Geschenk des Ausbilders – aus Überzeugung, Leidenschaft und Branchenpatriotismus. Wenn man jetzt noch beachtet, dass die Hälfte der Ausbildungszeit außerhalb des Betriebes stattfindet, versteht vielleicht auch der letzte, dass Ausbildung aus rein finanzieller Sicht für die meisten keinen Sinn mehr macht.

Jetzt höre ich schon den nächsten Einspruch: Wer ausbildet, bildet sich sein eigenes Personal aus.

Was für eine schöne Illusion! Kaum ein Junggeselle bleibt in seinem Ausbildungssalon. Die Ansprüche sind einfach zu hoch, der Wunsch nach Veränderung ruft und überhaupt stellt sich vielen die Frage, ob sie nicht doch noch etwas anderes ausprobieren sollten. Wenn ein Lehrling schließlich bleibt, dann im Schnitt nur ein Jahr. Wow.

Ich werde jetzt gemein – oder nein, eher superrealistisch:

Kleine statistische Zwischenrechnung: Wenn ich in einem Lehrjahr drei (!) Auszubildende einstelle, dann…

  1. … verliere ich einen wegen der hohen Abbruchrate.
  2. … verliere ich den zweiten durch einen Branchenwechsel.
  3. … und ich verliere den dritten nach einem Jahr als Friseur.

Das heißt: Wenn ich also immer mein eigenes Personal ausbilden will, muss ich jedes Jahr drei Auszubildende einstellen, um überhaupt eine Chance zu haben.

Wer erwirtschaftet denn die Ausbildungszeit, Vergütungen, Weiterbildungen und Kosten für abgebrochene Ausbildungen? Einzelne Friseurunternehmer wie ich!

Und ich bekomme nicht mal ein Dankschön! Von niemandem.

  1. Nicht von den Welpen. Die drei Jahre harte Schule hinter sich haben und nicht ihre positive Entwicklung, sondern nur ihren Leidensweg sehen.
  2. Nicht von den Kollegen, die danach meine fertigen Azubis einstellen und sich freuen.
  3. Nicht von der Gesellschaft, die immer mehr Verständnis von mir erwartet für die Befindlichkeiten und das anerzogene Unvermögen unseres Nachwuchses.
  4. Nicht von den Behörden und Kammern, weil alles immer komplizierter zu verwalten ist, Kosten entstehen, die einfach unnötig sind und Unterstützung nur zu bekommen ist, wenn man eigentlich auch einen Sozialbetreuer benötigt, um den Jugendlichen gerecht zu werden.
  5. Und nicht von diesem Staat, weil er uns einfach damit alleine lässt. Finanziell, mit der Verantwortung, gesetzlich und wertschätzend.

Und jetzt sind wir wieder an dem Punkt: Ich kann die Jugend nicht ändern. Aber ich kann mein Verhalten ändern! Der Frust auf der einen Seite und der dringende Bedarf auf der anderen Seite – diese beiden Dinge sollten uns zwingen, endlich zu handeln! Unsere Branche sollte endlich alte Strukturen über Bord werfen und gemeinsam Jugendliche fördern.

Wie? Anbei ein paar Ideen zur Umsetzung:

  1. Ausbildung sollte eine Gesellschaftsangelegenheit werden. Ausbildungsbetriebe sollten für ihre Arbeit bezahlt werden. Wozu Kinder bekommen, wenn diese nichts können? Ist Ausbildung nicht genauso wichtig, wie Kinder in die Welt zu setzen (aus gesellschaftlicher Sicht)? Wenn wir alle Fachkräfte wollen, sollten wir auch alle dafür bezahlen.
    • Die Vergütung sollte Staatsangelegenheit oder Sache der Kammern sein. Angepasst an die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer Familie, des Ausbildungsortes und ähnlichem.
    • Oder die Ausbilder sollten von der Branche bezahlt werden. Ähnlich wie bei der Künstlersozialkasse. Alle, die Mitarbeiter beschäftigen, zahlen in diese Kasse ein.
  1. Die gesetzlichen Rahmen sollten anpasst werden
    • Arbeitnehmerschutz in diesem Maße passt aus meiner Sicht nicht mehr zu dieser Generation. Manchmal hoffe ich ironisch auf Arbeitgeberschutz. Die Details können sicher nur Juristen diskutieren. Ich möchte einfach mehr Erziehungsmethoden haben, um der Jugend realistisch helfen zu können, ein interessanter Mitarbeiter zu werden.
    • Dazu passen weder die kurze Probezeit noch der extreme Kündigungsschutz nach der Probezeit. Wir verleihen damit einen Freifahrtschein, einen Elefanten im Porzellanladen und den Schaden, der durch ihn entsteht, schön zu reden und/oder zu ignorieren. Die Zeiten, in denen junge Menschen ausgenutzt und ausgebeutet wurden, sind einfach vorbei. Wir müssen Auszubildende nicht mehr auf diese Weise schützen. Das Prinzip „Angebot und Nachfrage“ hat diese Jugend hervorragend kapiert! Ganz im Gegenteil: wir senden als Gesellschaft die falschen Botschaften. Niemand will jemanden allein für seine Anwesenheit bezahlen und wertschätzen. Niemand mag das bezahlen! Was sollen denn die PRIVATENUnternehmen in diesem System noch alles leisten??
    • Es sollte die Möglichkeit geben, ergänzende Bildung auch während der Ausbildung zu schützen. Amortisationsverträge sind mit Auszubildenden derzeit untersagt. Das bedeutet, der Betrieb darf eine exzellente Ausbildung finanzieren, aber den Junggesellen nicht verpflichten, für eine bestimmte Zeit im Unternehmen zu bleiben oder die Ausbildung teilweise mitzufinanzieren. Warum nicht? Wir wollen tollen Nachwuchs. Aber wir legen den wenigen Bildungsstätten noch ein paar mehr Steine in den Weg, Ausbildung rentabel zu gestalten.
    • Die jungen Menschen sollten unabhängig von der Herkunft unbegrenzt Nachhilfe und Deutschkurse bekommen.
  1. Die schulische Ausbildung muss sich ändern. Warum bilden die Kammern nicht (mehr) aktiv aus? Wir Betriebe könnten doch einfach nur noch Praktikumsbetriebe sein. Die Verantwortung könnte komplett bei den Kammern liegen. Da alle Betriebe Kammerbeiträge zahlen, wäre die Kostenverteilung für den Nachwuchs gleich mitgeregelt.
    • Das würde nicht nur die Verwaltung immens verkürzen.
    • Integrative psychologische Betreuung wäre darüber leichter gewährleistet. Auch für Neubürger könnte zusätzlich Unterricht in Deutsch gewährleistet werden.
    • Die Verantwortung und die Kosten tragen nicht mehr die Unternehmen.
    • Lehrinhalte könnten besser an die unterschiedliche Vorbildung angepasst werden. Wenn verschiedene Talente zusammenkommen, ist es viel leichter, besondere Talente zu fördern.
    • Die Welpen könnten jedes Lehrjahr verschiedene Betriebe kennenlernen (was ja zum Wechselverhalten der Generation passt).
    • Eine Ausbildung wird einfacher vergleichbar für die eigentliche Entscheidung der Berufswahl, weil es nur noch um die Berufe geht und nicht um die einzelnen Betriebe.
    • Auch vom Aussterben bedrohte Berufe könnten darüber gerettet werden (wie zum Beispiel Stuckateur).
    • Die schulischen Inhalte sollten mehr den Vorkenntnissen der Lernenden angepasst werden. Warum sollte ein Überflieger nicht mehr gefördert werden? Die meisten meiner Azubis haben sich in der Schule gelangweilt. Um dem Beruf spannend zu machen, sollte auch die schulische Bildung spannend und lebendig werden. Die individuellen Begabungen könnten in kleinen, getrennten Gruppen in vielen Bereichen viel motivierender gefördert und gestaltet werden.

Danke an jeden, der meine Frust- und Vorschlagsliste bis hierher gelesen hat. Selbst wenn ihr nicht mit allem einverstanden seid, hoffe ich, dass ich dennoch neue Gedanken ausgelöst habe. Meine große Hoffnung ist tatsächlich, dass sich aus der Mitte unserer Friseurbranche heraus eine Kraft bildet, die unseren schönen Beruf retten kann.

Von Herzen

Eure Stefanie Ehrich

 

Friseurin? Stylistin? Oder gar Friseuse? Zur Etikette und Geschichte der Berufsbezeichnung Friseurin