Meiner Einschätzung nach werden vier Themen in dieser neuen Gesellschaft, die sich gerade entwickelt, einen hohen Stellenwert einnehmen.
1. Smart Distancing nennen manche Experten diese Kultur der Vorsicht, die sich bei uns dauerhaft einnisten wird. Wir werden es einfach als normal akzeptieren, dass sich eine gewisse körperliche Distanz im öffentlichen Raum als Verhaltensnorm durchsetzt. Was heißt das für Friseure? Nun, es ist zu überlegen, Räume und Salonkonzepte nicht nur provisorisch, sondern grundlegend so zu gestalten, dass die Bedienplätze diesen Komfort mit einem guten Abstand dauerhaft und nicht hinter provisorischen Trennwänden anbieten. Premium - und damit das wirkliche Wohlfühlen von Kunden - wird sich nur durch räumliche Freiheit (und der damit einhergehenden Distanz) etablieren. Das wird gegebenenfalls längere Öffnungszeiten, 2-Schicht-Systeme und viele Stellschrauben mehr erfordern. Die smarte Distanz im Umgang miteinander wird sich auch auf unser Konsumverhalten auswirken. Das Credo: Klasse statt Masse. Hier kann ein Sortiments-Check Sinn machen. Brauchen unsere Kunden das alles? Wo liegt der wirkliche Mehrwert? Traut euch doch mal und legt eine Benchmark fest, also eine Richtlinie, die für Euch und Eure Kunden gilt: Was ist wirklich notwendig? Was will ich anbieten? Was passt zu meinem Konzept? Das und nur das!
2. Das, was viele ganz schnell gespürt haben: Tatsächlich haben sich in kürzester Zeit echte soziale Medien entwickelt, über die wir (digital) kommuniziert haben und - wie auch beim Beispiel von FMFM.de - Kontakt geblieben sind. Keine Spam-Bilder, Werbung oder krude Lockrufe, sondern tatsächlich: soziale Nähe. Der Lock down war vor allem eine Zeit der sozialen Innovationen und der sozialen Nähe - trotz Abstand. Storys wie auch Infos haben sich via Instagram, Facebook, YouTube, Twitter & Co. rasant verbreitet. Selbst in dieser Entwicklung sehe ich eine große Chance für Friseure, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, um mit seinen Kunden eine andere Form der Zusammengehörigkeit zu entwickeln, auch wenn der Salonbesuch hier und da zum selteneren, dafür überaus höher geschätzten Event wird. In der Zwischenzeit könnte die geneigte und interessierte Kundin doch über Social Media von ihrem Friseur lernen, wie sie fit, schön und per DIY up-to-date bleibt. Ein Tipp für die, die noch kein Online-Reservierungstool haben: jetzt wird es höchste Zeit, denn Eure Kunden waren nie so digital wie heute.
3. Ein weiterer Trend, der sich andeutet, verbirgt sich hinter dem Schlagwort Re-Lokalisierung. Die neue Nähe! In der Krise konnten sich Unternehmen auf die Hilfe des Staates verlassen, ja; aber auch in überraschender und überwältigender Weise auf die Unterstützung ihrer Kunden, die zu Fans und Freundinnen wurden. Privatpersonen initiierten Spendenaktionen und riefen Plattformen ins Leben, über die Gutscheine für die Zeit nach der Wiedereröffnung erworben werden konnten. Das heißt: die Zeit ist reif für eine völlig neue Empfehlungskultur. Überdenkt Eure Bewertungen, schenkt Google oder lokalen Aktionen Aufmerksamkeit. Nicht als Werbung, sondern als Beziehungsstatus zu bestehenden wie auch zu potenziellen neuen Kunden. Stärker denn je zuvor schätzt und empfiehlt man sich in Zukunft gegenseitig. Sozusagen als Gegentrend zur Globalisierung. Zeigt Euren Nachbarn Flagge, positioniert Euch bei Facebook, Google & Co., sodass sie ein Teil dieses Nachbarschafts-Netzwerkes sind. In der Kleinstadt mag all das in der Vergangenheit schon gut gelungen sein, für die Stadt- und Großstadtfriseure wird es eine Herausforderung sein, sich in ihren Stadtvierteln als ein Teil dieser neuen Nachbarschaftskultur zu vernetzen.
4. Jetzt komme ich zum wichtigsten Punkt. Friseure haben mehr denn je das Potenzial, zu einem sogenannten „Third place“ und damit zu einem ganz besonderen Ort zu werden. Ein dritter Ort, an denen Menschen ihre Zeit verbringen zwischen ihrem Zuhause (dem „First place“) und der Arbeitsstelle („Second place“). Ein Platz, an dem wir Ideen austauschen oder bekommen, an dem wir einfach eine gute Zeit haben und an dem wir Beziehungen aufbauen. Dritte Räume sind also Räume der Begegnung. Viele Menschen arbeiten im Home Office – ihnen fehlt der Kontakt zu anderen Menschen. Bis auf Weiteres werden Shoppingcenter, Restaurants und Kulturstätten als „Third place“ mit Vorsicht genossen werden. Da haben Friseure mehr denn je das Zeug dazu, ein kommunikativer Treffpunkt außerhalb von Beruf und „Home zone“ zu sein. Salons haben die große Chance, wirklich neue vertraute Orte zu sein, an denen Kunden sich wohlfühlen, an denen sie inspiriert werden und Ideen finden. Und an denen, beziehungsweise zu denen sie eine Beziehung aufbauen.