„Danke, Corona!“ – Vom Frust in die Freiheit

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Hat sich entschieden, aus Corona zu lernen: Kati Kalinowsky
Foto: T. Willmeroth
Hat sich entschieden, aus Corona zu lernen: Kati Kalinowsky

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Selten verläuft echtes Wachstum schmerzfrei. Eine Erfahrung, die unsere Kolumnistin und Friseurunternehmerin Kati Kalinowsky nur zu gut kennt! Und siehe da: Sie hat beim Tauchen in der „Jauchegrube“ Corona tatsächlich ein paar Goldnuggets gefunden. Beruflich als Friseurunternehmerin. Und persönlich als Frau und Mutter.

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Vielleicht ist es ein Frauending, vielleicht aber auch nicht: Jedenfalls stelle ich vor allem bei meinen Kolleginnen und Geschlechtsgenossinnen fest, dass wir Frauen oft den Anspruch haben, aus jeder Krise im Leben etwas zu lernen. Dass wir uns innerlich und äußerlich weiterentwickeln und den nächsten Schritt gehen möchten. Warum sollte es bei einer so elementaren Krise wie einer weltweiten Corona-Pandemie anders sein? Für mich war und ist es tatsächlich so: diese Zeit deckt gerade schonungslos Bruchstellen im Lebenslauf auf. Berufliche in Form von Management-Fehlern. Aber auch persönliche Knackpunkte rutschen ungeplant unters Brennglas. Nun, was also damit anfangen? Ignorieren? Für mich keine Option. Ich denke, es wäre fatal, jetzt nicht die Gelegenheit zu nutzen, um für die Zukunft daraus zu lernen. Heißt für mich: selbstkritisches Betrachten der eigenen Situation im Salon und im Privatleben ist jetzt einfach dran. Punkt.

Entscheidung: hinschauen & hinterfragen

Anstoß für mein wichtigstes berufliches Corona-Learning war folgende Situation kurz vor der Salonschließung im Februar, ich erinnere mich gut an diesen Freitag: Aufgrund von Krankheit und Urlaub arbeiteten wir statt mit sechs Friseuren gerade zu dritt im Salon. Der Nachmittag war ausschließlich mit Trockenhaarschnitten und Kinderschnitten verplant. Dabei waren mir Menüpunkte wie „Trockenschnitt“ und „Selber föhnen“ schon lange fachlich und wirtschaftlich ein Dorn im Auge. Ich hatte sie jedoch auf der Preisliste gelassen, weil mein Team sie aus Bequemlichkeit oder Vermeidung von Diskussionen unbedingt behalten wollte. An diesem magischen Freitag hat es jedoch bei mir „klick“ gemacht, denn ich habe mir endlich mal schonungslos den Verlust ausgerechnet, den ich an diesem Arbeitstag erwirtschaftet habe. Meine bittere Bilanz: Es wäre billiger gewesen, den Salon ab Mittag einfach zu schließen und mit den Mitarbeitern Eis essen zu gehen! Diese Erkenntnis war mein Wendepunkt, weil mir glasklar wurde: Ich habe jahrelang die Stimmung im Team über eine gesunde Kostenstruktur gestellt und an Dienstleistungen festgehalten, die so nicht funktionieren können.

Keine Chance zum Wegschauen

Während der Schließungszeit habe ich diese und andere Frusterlebnisse weiter durchdacht. Dank Christian Funk habe ich zum Glück seit Jahren ordentlich kalkulierte Preise, sodass ich mit Rücklagen zwei Gehälter für meine Mitarbeiter ohne Probleme vorstrecken konnte, bevor das Kurzarbeitergeld kam. Auch mich und mein Kind habe ich sechs Wochen ohne Hilfe selbst finanzieren können. Zudem hatte ich Geld für eine eigene Buchhaltung, die mich sehr unterstützt hat. Ich hatte also schon vor der Krise einige meiner Hausaufgaben gemacht; aber Corona zeigte mir, dass da noch viel Luft nach oben war und ist. Zum Beispiel ist mir schon seit Jahren das gesellschaftlich geforderte Subventionieren von Kinderhaarschnitten ein Dorn im Auge. Warum soll ich daran nichts verdienen dürfen? Das ist doch der Sinn meiner Arbeit, oder etwa nicht? Der Maler streicht auch nicht das Babyzimmer gratis! Die Haare im Salon selber zu föhnen ist auch so eine Unart der Branche! Die Leistung des Handwerkers wird nicht vollständig bis zum Ende ausgeführt, sondern einfach vom Kunden selbst übernommen, um Geld zu sparen. Das allein hat mich bei den schönsten Balayage-Techniken schon häufig in den Wahnsinn getrieben: im Anschluss an unsere dreistündige Arbeit konnten wir das Ergebnis nicht in sozialen Medien posten, weil die Kundin nur schnell selbst trocken gepustet hat.

Wachstum schmerzt

All diese Frustrationen entpuppten sich während der Corona-Schließung als Nährboden für mein Wachstum. Schließlich musste ich mir als Friseurunternehmerin und Chefin jetzt nötiger als je zuvor die Frage stellen: Wie kann ich den Salon und unsere Preise krisenfest machen für das, was nach der Schließung kommt? Gemäß aller Regeln und Vorgaben dürfen wir trotz großem Salon und extra Umbau nur mit halben Team und fünf statt bisher neun Plätzen weiterarbeiten. Wie erarbeiten wir mit halbem Team genügend Umsatz, um die gesamten Kosten zu erwirtschaften?! Wie schaffe ich es dabei zudem, wieder Rücklagen aufzubauen? Mein Entschluss reifte: Heute habe ich endlich konsequent jede Dienstleistung gestrichen, die mir keinen Gewinn bringt. Jetzt kann ich zur Not sogar alleine meinen großen Salon betreiben und mache trotzdem Gewinn. Glaubt mir, das lässt mich wirklich ruhiger schlafen. Danke, Corona, das hätte ich ohne dich erst Jahre später geschafft!

Networken, austauschen, gegenseitig helfen

Auch privat musste ich mir viele Fragen neu stellen. Wie kann ich als Mutter und Alleinerziehende gleichzeitig ohne Kinderbetreuung daheim alles am Laufen halten? Ganz ehrlich? Ich fühlte mich in der Schließzeit oft zurückgeworfen in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts! Es fehlte nur noch die Schürze. Für mich als Mutter und Unternehmerin gab es keine entspannten Corona-Ferien mit viel Zeit und Ruhe, oh nein! Es galt, Anträge zu stellen, den Salon umzubauen und meine Innungsarbeit zu erledigen. All das habe ich meist zwischen fünf und acht Uhr morgens gemacht, weil ich nur dann Ruhe vor den Kindern hatte. Ich habe so viel geputzt und gekocht wie noch nie zuvor in meinem Leben als Vollzeit arbeitende Mutter. Und ich weiß jetzt mehr denn je, warum ich meinen Beruf so liebe: Er gibt definitiv mehr zurück als ein motzender Teenager 😉 Ich fühlte und fühle mich immer noch allein gelassen von Politikern, die uns arbeitende Mütter einfach vergessen! Die keine Notbetreuung für unsere Kinder bieten, uns FriseurInnen aber gleichzeitig Systemrelevanz attestieren. Genau mein Humor. Da helfen auch 300€ Kinderbonus nicht. Ich und meine Mitarbeiterinnen mit Kindern haben ein Vielfaches an Umsatz, Trinkgeld und Nerven dabei verloren. Heißt: Ich musste also auch in diesem Bereich meines Lebens abgeben und einfordern lernen.

Deshalb kommt jetzt meine größte Erkenntnis aus dieser herausfordernden Zeit: Am allermeisten helfen Zusammenhalt und Gemeinschaft! Deshalb haben wir die Gruppe H-Heldin & Family für Mütter im Friseurhandwerk auf Facebook ins Leben gerufen. Dort tauschen wir uns sehr ehrlich und unterstützend über das Leben mit Salon und Familie aus. Mir hat es sehr geholfen zu wissen, dass wir alle ähnliche Probleme haben und zu erfahren, wie andere diese herausfordernde Zeit hinbekommen. Zusammen sind wir eben weniger allein. Dieses Networking unter Frauen sollten wir ausbauen. Unbedingt. Die nächste Krise kommt bestimmt! 😉

Herzlichst, Eure Kati