„Warum bildest du aus – aus Gier oder aus Liebe?“

Zu wenig Lehrlinge? Nein, zu wenig ausbildende Betriebe! Bernd Funke sieht in der mangelnden Ausbildungsbereitschaft vieler Berufskolleg*innen ein Warnsignal für eine sich verändernde Gesellschaft. Er geht das Thema mit einem völlig anderen, auch spirituellen Mindset an und sagt: "Wir brauchen wieder mehr Mut zum Unternehmertum!" Mit FMFM-Autorin Daniela Hamburger hat der Friseurmeister und Coach aus Jena über Verantwortung, Leidenschaft und Mitarbeiterführung gesprochen.
Lieber Bernd, allerorts wird über Lehrlings- und Fachkräftemangel gejammert. Aus deinem Salon „Pompadour“ in Jena hört man aber keine Klagen, im Gegenteil. Woher kommt’s? Was macht ihr denn anders als Mitbewerber?
Pompadour hat sich in den vergangenen 15 Jahren zu einer der exklusivsten Marken im Friseurhandwerk der Region entwickelt. Wir sehen die Welt aus einem anderen Blickwinkel und gehen viele Dinge bewusst anders an als andere – angefangen beim Mindset und Bewusstsein des Unternehmers selbst.
Ich durfte in der Vergangenheit einige schmerzhafte aber lehrreiche Erfahrungen machen, die mir geholfen haben, ein neues Bewusstsein zu entwickeln. Aus diesen Erfahrungen entstanden klare Prinzipien, die Pompadour zu dem gemacht haben, was es heute ist.
Karriereseite in drei Sprachen
Und wie kommt’s, dass junge Menschen Lust dazu haben, bei Pompadour zu arbeiten?
Pompadour ist die erste Adresse für Friseure in Jena – gibst du bei Google „bester Friseur Jena“ ein, stehen wir an erster Stelle. Das verdanken wir einer konsequent aufgebauten Markenidentität. Unsere Website enthält eine eigene Karriereseite, die den Beruf des Friseurs und Karrierechancen ausführlich und inspirierend darstellt – und das in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Russisch. Diese Mehrsprachigkeit hebt uns deutlich von Mitbewerbern ab, nicht nur regional, sondern deutschlandweit.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist unsere enge Kundenbindung. Über 400 Google-Bewertungen mit vielen Fotos und persönlichen Erwähnungen unserer Mitarbeitenden, Azubis und Praktikant*innen sprechen für sich. Diese echte Wertschätzung schafft Vertrauen und macht Lust, Teil unseres Teams zu werden. Viele Gäste sind uns seit Jahrzehnten treu. Mittlerweile bewerben sich sogar Kinder unserer langjährigen Kund*innen mit dem Satz: „Wenn du Friseur wirst, dann bei Pompadour.“
Wir legen großen Wert auf unsere Markenpräsenz – in der Presse, auf Social Media und durch unsere Corporate Identity. Sichtbarkeit und Wiedererkennung sind entscheidend.
Schon Praktikant*innen dürfen bei uns an Modellen arbeiten, um das Gefühl zu erleben, das unseren Beruf so besonders macht: In kurzer Zeit einem Menschen mehr Schönheit und Selbstbewusstsein zu schenken. Dieses Erlebnis entfacht Leidenschaft – und genau diese Leidenschaft hält unseren Beruf lebendig.
„Wer sich mehr bildet, steigert seine Fähigkeiten – und wird entsprechend entlohnt“
Was macht die Ausbildung bei Pompadour besonders?
Unsere Ausbildung ist handwerklich fundiert, praxisnah und innovativ. Wir fördern die individuellen Talente jedes Einzelnen und glauben fest daran, dass jeder Azubi die beste Version seiner selbst werden kann – bis er oder sie das Gegenteil beweist.
Unser Motto lautet: „Wir erfüllen Ihre Wünsche, bevor Sie wissen, welche Sie haben.“ Unsere Auszubildenden arbeiten ab dem ersten Tag am Menschen. Dafür haben wir ein eigenes Label mit Model-Kartei entwickelt – inklusive eigenem Trailer für „Be Hair Model“.
Modelle erhalten den kompletten Service, wie unsere Gäste, zahlen aber nur 15 € statt 84–99 €. Nach bestandenen Qualitätsprüfungen dürfen die Azubis diese Leistungen unter Aufsicht an ihren eigenen Gästen ausführen.
Unser Preissystem ist nach Ausbildungsstufen gegliedert. Das steigert das Bewusstsein für Weiterbildung bei Mitarbeitenden und Kund*innen zugleich: Wer sich mehr bildet, steigert seine Fähigkeiten – und wird entsprechend entlohnt.
Ab dem zweiten Lehrjahr tragen sich unsere Azubis finanziell selbst. Außerdem lehre ich ihnen unsere eigene Schneidetechnik, den Art of FlowCut, der auf dem natürlichen Fall und der Energie des Haares basiert.
„Mangelnde Ausbildungsbereitschaft ist der Grund für die Lehrlingsflaute“
Wo siehst Du denn den Grund für die rückläufigen Ausbildungszahlen im Friseurhandwerk?
Für mich der eigentliche Kern des Problems, dass immer weniger Betriebe ausbilden! Natürlich spielen Angebot und Nachfrage zusammen, aber das Verhältnis hat sich inzwischen drastisch verschoben.
Nur noch 6 bis 8 Prozent aller Friseursalons in Deutschland bilden aus – das ist erschreckend wenig. Ich sehe hier weniger ein Problem bei den Jugendlichen, sondern eine strukturelle und mentale Krise in der Branche selbst.
Durch die Abschaffung der Meisterpflicht bei Kleinstunternehmen hat sich das Handwerk stark verändert. Rund die Hälfte aller Friseurbetriebe sind heute Kleinstunternehmen, die gar nicht ausbilden dürfen. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Mitarbeiterzahl bei nur 1,5 Personen pro Salon – da fehlt schlicht die Kapazität für Ausbildung.
Viele Unternehmer*innen bleiben bewusst klein, weil sie Angst vor zusätzlicher Verantwortung oder finanzieller Belastung haben. So entsteht ein Teufelskreis: Weniger Ausbildung bedeutet weniger Fachkräfte, das Niveau sinkt, und die Attraktivität des Berufs leidet.
Wenn wir das Friseurhandwerk langfristig erhalten wollen, müssen wir wieder mehr Mut zum Unternehmertum entwickeln – und Verantwortung übernehmen, auch für die nächste Generation.
„Das Mindset des Unternehmers ist der wichtigste Faktor beim Erfolg von Ausbildung“
Angesichts dieser Entwicklung fallen Salons wie Pompadour, die Ausbildung erfolgreich betreiben, umso mehr auf. Was müssen Unternehmen denn heute bieten, um Azubis anzusprechen?
Zuerst braucht es den inneren Wunsch und den festen Willen, auszubilden – und das Verständnis, dass Ausbildung kein Sprint, sondern ein Marathon ist.
Der wichtigste Erfolgsfaktor ist das Mindset des Unternehmers. Kommunikation, Authentizität und eine klare Vision sind entscheidend. Wer junge Menschen anziehen will, muss sichtbar und besonders sein.
Ich lege großen Wert auf Teamzusammenhalt. Denn nur wenn das Team funktioniert, entsteht echte Freude an der Arbeit. Deshalb habe ich mein gesamtes Team bereits zweimal für zwei Wochen in den Urlaub eingeladen – nach Zypern ans Meer. Diese gemeinsame Zeit hat uns noch enger zusammengeschweißt und gezeigt, wie wichtig Wertschätzung und gemeinsames Erleben für ein starkes Miteinander sind.
Dazu gehören:
- eine starke Präsenz nach außen – Website, Social Media, Schaufenster, Handwerkskammer, Berufsorientierungsmessen, Erasmus, Coiffeur-Programme usw.
- ein modernes, positives Image des Berufs
- und das Gefühl, dass Ausbildung bei dir Zukunft hat
- Teammeeting einmal im Monat
- Mitarbeitergespräch einmal pro Monat je Mitarbeiter*in
Nur wer selbst Begeisterung ausstrahlt, kann sie auch bei anderen entfachen.
Die zentrale Frage: Was bleibt von mir, wenn ich diese Welt verlasse?
Du hast es eben angesprochen – Ihr seid bei Erasmus aktiv, ein Programm das eher aus dem studentischen Leben bekannt ist. Wie funktioniert das im Handwerk und wie profitiert euer Salon davon?
Das läuft bei uns über die Handwerkskammer. Unternehmen können sich aber auch direkt bei der nationalen Agentur „Bildung für Europa“ anmelden. Das Programm funktioniert in beide Richtungen: Azubis aus anderen Ländern können zu uns kommen, und unsere Lehrlinge können ins Ausland gehen.
Wir hatten bereits Gäste aus Schottland, und nächstes Jahr könnten unsere Auszubildenden nach Barcelona reisen. Mein Leitsatz lautet: „Sei offen für die Welt und bewege dich in der Fülle von Gedanken, Möglichkeiten und positiver Energie.“
Meine Faszination für das Thema stammt aus meiner Jugend. Ich war begeistert von der Tradition der „Walz“ im Handwerk – leider durfte ich diese nicht wiederbeleben, da ich bereits meinen Meisterbrief hatte. Umso schöner ist es für mich, heute meine Lehre, mein Wissen und Bewusstsein an meine Azubis weiterzugeben.
Wenn du mich fragst, wie mein Salon davon profitiert: Profit bedeutet für mich nicht nur finanziellen Gewinn. Ich frage mich vielmehr: „Was bleibt von mir, wenn ich diese Welt verlasse?“ Die Antwort lautet: Mein Wissen, meine Werte, mein handwerkliches Können – weitergegeben an Menschen, die mit Begeisterung lernen. Wir haben bereits Lehrlinge aus Russland und Syrien erfolgreich ausgebildet. Darauf bin ich sehr stolz.
„Schlechte Erfahrungen machen resilienter“
Viele Kolleg*innen sind frustriert, weil Ausbildung oft scheitert oder Azubis den Beruf wechseln. Könnt ihr diese Erfahrungen teilen?
Ja, diese Erfahrung kenne ich sehr gut. 50 % der Auszubildenden im Friseurhandwerk brechen ihre Lehre ab – eine bittere Zahl. Gleichzeitig bilden nur noch 6–8 % der Salons überhaupt aus.
Ich habe viele Unternehmer*innen befragt und immer wieder dieselben Antworten gehört: „Ausbildung kostet zu viel Geld.“ – „Ich habe zu wenig Mitarbeitende.“ – „Mit der jungen Generation will ich mich nicht mehr auseinandersetzen.“
Das sind für mich keine Argumente mehr, sondern Warnsignale. Sie zeigen, dass unser gesellschaftliches Bewusstsein kippt – wirtschaftlich, mental und kulturell.
Nach Corona hat sich die Struktur der Branche stark verändert:
- Rund die Hälfte der Betriebe arbeitet umsatzsteuerbefreit und darf nicht ausbilden.
- Die Zahl der Salons ist auf über 80.000 gestiegen, aber sie werden immer kleiner.
- Der Durchschnitt liegt bei nur 1,5 Mitarbeitern pro Salon.
Ich sehe das Glas trotzdem als halbvoll an. Wir bekommen heute so viele Bewerbungen wie nie zuvor – allein 2025 waren es 14. Dadurch können wir die besten Talente auswählen.
Die Wertschätzung für gut ausgebildete Friseur*innen wird steigen, weil es immer weniger davon gibt. Ich habe das in Australien erlebt: Dort genießen Friseur*innen ein Ansehen wie Designer*innen, weil sie hochqualifiziert und entsprechend entlohnt sind.
Natürlich habe auch ich Rückschläge erlebt – Lehrlinge, die aufgehört haben oder andere Wege gingen. Aber genau daraus habe ich gelernt. Diese Erfahrungen haben mich resilient gemacht.
Ich habe mich intensiv mit Themen wie Neurolinguistischer Programmierung, Business Coaching, Meditation und Manifestation beschäftigt. Das hat mir geholfen, mich selbst besser zu verstehen – und damit auch andere.
Heute arbeite ich mit einem starken Team: Drei Gesellen und zwei Lehrlinge, alle von mir selbst ausgebildet. Wenn du in Menschen investierst, dann bleiben sie – weil die Energie stimmt – und darauf kommt es an.
„Als Unternehmer*in musst du lernen, in deiner Mitte zu bleiben“
Was sagst du zu der Befürchtung, dass man für andere ausbildet, weil Mitarbeitende später weggehen?
Ich würde fragen: „Warum bildest du aus – aus Gier oder aus Liebe?“
Wenn du aus Gier handelst, siehst du den Menschen nicht. Wenn du aus Liebe und Leidenschaft für deinen Beruf ausbildest, ist es nie garantiert, dass alle bleiben – aber es werden mehr.
Leben bedeutet Entwicklung. Wer sie zulässt, wächst – persönlich und unternehmerisch. Angst und Furcht sind schlechte Ratgeber. Als Unternehmer*in musst du lernen, in deiner Mitte zu bleiben, Gleichmut zu üben und Vertrauen zu haben. Dann kommt die Energie zu dir zurück.
Du legst ja in puncto Investition nochmal einen drauf und lässt deine Auszubildenden über das Programm „Hair & Beauty Artist“ von La Biosthétique ausbilden. Lohnt sich das denn?
Ich war an einem Punkt, an dem ich eigentlich nie wieder ausbilden wollte – und habe dann beschlossen, das Gegenteil zu tun: die beste Ausbildung Deutschlands zu bieten.
Deshalb habe ich mich für das exklusive Programm „Hair & Beauty Artist“ von La Biosthétique entschieden, das über die private Berufsschule in Darmstadt läuft. Zu dieser Zeit hatte ich vier Azubis in drei Lehrjahren – bei nur zwei Mitarbeitenden.
Der finanzielle Aufwand war enorm: rund 10.000 € Schulkosten plus 11.000 € für Fahrt und Unterkunft pro Lehrling, zusätzlich zum Gehalt. Mein Steuerberater erklärte mich für verrückt – aber ich hatte ein Ziel: die besten Mitarbeitenden auszubilden. Und genau das ist uns gelungen.
Der Unterschied: Diese Ausbildung ist extrem praxisnah. Sie verbindet Produktkenntnis, Anwendung und Theorie eng mit dem echten Salonalltag. Heute zahlt sich das mehrfach aus – durch Qualität, Selbstbewusstsein und Erfolg.
Reisen ins Innere und um die halbe Welt
Was prägt dein Mindset und deine Vision als Unternehmer?
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung, Mindset, Neurolinguistik und buddhistischer Lehre. Ich glaube fest daran: Nur wer sich selbst kennt, kann andere verstehen.
Diese Reise führte mich nach innen – und auch um die halbe Welt. Ich habe Retreats in Nepal und Sri Lanka besucht, Ausbildungen als Kosmetiker, Wellness-Therapeut, Haar- und Kopfhauttherapeut, Meditations-Trainer, NLP-Practitioner und Master-Coach absolviert.
In meiner Lehrzeit hing ein Schild mit diesem Satz an der Wand: „Der Friseur ist der Psychologe des kleinen Mannes.“
Dieser Gedanke begleitet mich bis heute. Viele Kolleg*innen empfinden das als Belastung – ich habe darin meine Berufung erkannt. Deshalb unterstütze ich heute auch andere Unternehmer*innen, vor allem in der Medizinbranche, als Coach und Mentor in Themen wie Mitarbeiterführung, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.
Ich habe gelernt: Wenn du dich selbst verstehst, kannst du auch andere führen – mit Ruhe, Klarheit und Herz.
„om mani padme hum“ – Zum Wohle aller lebenden Wesen.
Vielen Dank, lieber Bernd, für das offene Interview und den Einblick in dein außergewöhnliches Mindset.











