„In der Branche herrschte noch nie so viel Ehrlichkeit wie heute“

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Foto: Adrian Bedoy
"Die Branche ist enger zusammengerückt", sagt Dennis Machts.
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"Die Branche ist enger zusammengerückt", sagt Dennis Machts.

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In den vergangenen Jahren hat sich in der Friseurszene Grundlegendes verändert. Friseur*innen warten nicht mehr darauf, dass "die da oben", sprich Verbände und Industrie, Impulse geben, sondern sie schließen sich zusammen und nehmen die Dinge selbst in die Hand: z. B. durch Facebook-Gruppen wie die "Professional Hair Group" und Live-Events von Friseuren für Friseure, wie den "Inspiration Day". Dennis Machts, Director der Berliner D. Machts Group, ist Mitgründer dieser Initiativen. Mit FMFM-Autorin Daniela Hamburger hat er über Friseur*innen als die neuen Macher, das Zusammenrücken der Branche und die Herausforderungen der Zukunft gesprochen.

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Lieber Dennis, was hat sich Deiner Meinung nach dadurch verändert, dass die Basis nun so viel selbst angeht?

Corona hat es nötig gemacht, dass wir Friseur*innen uns selbst organisieren. Seit dieser Zeit ist die Branche zusammengerückt, auch wenn manche Kolleg*innen das anders sehen. Facebook-Gruppen etc. haben entscheidend dazu beigetragen. Die Ausnahmesituation hat uns somit auch eine große Chance eröffnet, die wir genutzt haben. Wir warten nicht mehr ab, bis jemand sein neuestes Haarspray vermarkten will und uns somit sagt, was wir benötigen. Wir rollen den Bedarf von der anderen Seite auf und sagen selbst, was die Branche wirklich braucht.

„Wir sind viel unabhängiger geworden“

Wir finden: Friseur*innen strahlen durch diese selbst auf die Beine gestellten Gruppen und Events viel mehr Selbstbewusstsein aus. Siehst Du das auch so?

Absolut! Allein in unseren Social Media Gruppen sind rund 50.000 Friseur*innen organisiert, das ergibt schon ein gewisses Marktbild. Bei der gegenseitigen Unterstützung steht klar der Community-Gedanke im Vordergrund. Wir tauschen uns ehrlich aus, berichten, wie gut die Zusammenarbeit mit Anbietern klappt, teilen Erlebnisse, geben direkt Tipps. Durch den ehrlichen Support unter Kolleg*innen haben wir ein ganz neues Standing erhalten und können dies auch nach außen kommunizieren. Wir sind nun viel unabhängiger und lassen uns nichts mehr vorschreiben.

Was macht „friseurorganisierte“ Events wie den „Inspiration Day“ Deiner Meinung nach aus? Wodurch entscheiden sie sich von Industrie-Events?

Wir legen den Fokus ganz klar auf die Interessen der Friseur*innen. Und zwar absolut markenunabhängig. Wir holen uns die interessantesten Referent*innen, völlig egal, welchem Unternehmen sie nahe stehen. Anders als bei klassischen Großveranstaltungen sind wir immer ein überschaubarer Kreis, so dass wir sehr individuell auf die Interessen eingehen und den regen Austausch unter den Teilnehmenden fördern können. Die Kolleg*innen profitieren so direkt von den Erfahrungswerten anderer, was unheimlich wertvoll für alle ist. Dabei werden ganz praktische Fragen angegangen, z. B. „Wer bietet die beste Betreuung für sein Online-Terminierungssystem?“ oder „Wie mache ich bessere Fotos für Social Media?“ Wir thematisieren für die anwesende Zielgruppe interessante Konzepte und neue Dienstleistungen, stellen auch mal Anbieter von Nischenprodukten vor. Damit bilden wir eine Vielfalt an Themen ab und setzen auf Nähe und absolute Ehrlichkeit. Ich moderiere diese Veranstaltungen und nehme dabei kein Blatt vor den Mund: Referent*innen müssen auch Kritik aushalten müssen, denn wir wollen den Dingen wirklich auf den Grund gehen. Und wir sind sehr erfolgreich damit: Wir haben mit 50 Besucher*innen angefangen, zu unserem jüngsten „Inspiration Day“ kamen dann schon 300 Gäste, ohne dass wir viel Werbung gemacht haben. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden und gleichzeitig unsere Qualität zu halten, wollen wir nicht einzelne größere Veranstaltungen etablieren, sondern mehr pro Jahr abhalten, wahrscheinlich drei bis vier.

Dennis, Du hast mit der „D. Machts Group“ zehn erfolgreiche Salons in Berlin und Hamburg sowie eine Academy – und bist damit mit Sicherheit schon sehr busy. Was bewegt Dich dazu, Dich darüber hinaus für die Branche zu engagieren?

Auch ich profitiere ganz direkt von den ehrlichen Auskünften anderer, vom direkten Austausch. Durch unser Vernetzen in den Social Media Gruppen kennen mich die Kolleg*innen, und ich werde mit der Academy auch mehr von ihnen gebucht. Damit entsteht eine klassische Win-Win-Situation: Ich gebe mein Wissen an die Branche weiter, ziehe aber auch Nutzen aus dem Know-how anderer. Klar, das kostet viel Zeit. Aber nur durch umfassendes Wissen können wir uns heutzutage als innovative Unternehmen positionieren und haben eine Chance, am Markt zu bleiben.

Mitarbeitermangel könnte bald passé sein

Was sind denn aktuell die Themen, die die Friseure bewegen? Was brennt euch am meisten unter den Nägeln?

Eines der brennendsten Themen ist die Preisakzeptanz. Wie schaffe ich es, höhere Preise sowohl gegenüber Kund*innen als auch gegenüber Mitarbeitenden so zu kommunizieren, dass sie als gerechtfertigt angesehen werden? Und wie erhöhe ich die Preise am besten? Schlagartig um 15 Prozent oder in kleinen Schritten?

Das zweite wichtige Thema stellt die wirtschaftliche Situation dar: Wir rauschen in eine Rezession. Möglicherweise gibt es schon Ende 2024 keinen Mitarbeitermangel mehr, weil es weniger Kund*innen gibt, die unsere Preise mittragen. Dann sind nicht wir Friseurunternehmen untereinander die Konkurrenten, sondern wir konkurrieren mit anderen Branchen. Die Kund*innen werden sich fragen: Gebe ich 100 Euro beim Friseur aus, oder kaufe ich mir Schuhe für 100 Euro?

Und auch die Gen Z beschäftigt uns sehr. Denn dieser Nachwuchs hat seinen ganz eigenen Kopf, viel mehr als die Generationen davor. Darüber dürfen wir nicht jammern, sondern wir müssen die Vorteile sehen und Lösungswege erarbeiten.

Digitalisierung nicht verschlafen

Die Friseurszene ringt also mit ganz verschiedenen Herausforderungen. Was muss der Friseur/die Friseurin der Zukunft haben, um am Markt weiterhin bestehen zu können?

Aus- und Weiterbildung sind ganz klar das A&O. Dass ich mich und meine Mitarbeitenden stets geschult habe, hat mich bisher gut durch jegliche Krisen geführt. Wissen gibt Stärke, und Stärke ist Macht. So bekomme ich die Kund*innen, die ich will und die Mitarbeiter*innen, die ich will. Gegenüber der Kundschaft müssen wir das natürlich auch klar kommunizieren: Für dich mache ich mich schlau. Um dir den besten Service, die innovativsten Produkte, die passendste Dienstleistung bieten zu können.

Und wir müssen immer offen für Veränderungen sein: Auf keinen Fall die Digitalisierung verschlafen! KI ist so rasend schnell gekommen, da müssen wir jetzt reagieren. Auch Online-Terminvergabe ist ein superwichtiges Thema. Bei uns z. B. werden 60 Prozent der Termine online vergeben. So brauche ich keine Rezeptionistin mehr und es ist viel ruhiger im Salon. Wer sich diesen neuen Wegen verschließt, kann in ein paar Jahren weg sein.

Unglaublich wichtig ist auch, sich selbst und sein Unternehmen gut zu organisieren, die Tagesabläufe effizient zu strukturieren. Egal, ob mit vielen Mitarbeitenden oder erst recht als Solo-Stylist*in muss ich mich als Chef*in immer wieder fragen: Was macht Sinn? Was erleichtert mir das Leben, damit ich mich wirklich auf mein Kerngeschäft konzentrieren kann?

Industrie unterstützt Freiheitsgeist

Auch wenn ihr Einfluss geringer geworden ist: Wie, denkst Du, können Industriefirmen die Friseurbranche unterstützen?

Die Industrie soll gar nicht verteufelt werden! Ich bin selber Kunde eines großen Konzerns und schätze diese Zusammenarbeit auch. Ich sehe deutlich die Entwicklung, dass die Firmen das Umdenken in der Branche durchaus zulassen und den Freiheitsgeist sogar unterstützen. Beim „Inspiration Day“ bekommen wir auch finanzielle Unterstützung, aber ohne, dass die Unternehmen deswegen einen Exklusivanspruch oder fette Werbung erwarten. Erstaunlicherweise klappt das unglaublich harmonisch. Mitbewerber ziehen Hand in Hand an einem Strang. Da gibt es keinen Hate.

Und als Hauptlieferant muss ich mehr bieten als „nur“ das beste Haarspray. Wir Friseur*innen brauchen Unterstützung beim Marketing, im Schulungsbereich, in Social Media usw. So werden wir gestärkt. Nur wenn es uns gut geht, geht es auch dem Lieferanten gut. Denn eine stärkere Branche ist natürlich auch für die Industrie ein Gewinn.

Was auch unglaublich wohltuend ist: Heute kann jeder damit umgehen, dass nicht überall alles immer glatt läuft. Lieferschwierigkeiten? Kann es in einer globalisierten Welt bei jedem Anbieter geben. Einen Fehler zugeben? Können mittlerweile auch „die Großen“. Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit haben heute viel mehr Bedeutung als noch vor fünf Jahren.

Und der Zentralverband? Welche Rahmenbedingungen könnte er verbessern?

Dass wir den Verband haben, ist super. Wir brauchen eine Vertretung unseres Berufsbilds. Aber es sollte weniger hinter verschlossenen Türen, sondern offener und klarer agiert werden.

Ich weiß, das ist nicht einfach umsetzbar, aber die Ausbildungsordnung bedient heute nicht mehr die Anforderungen der Realität. Der Friseurberuf hat unglaublich viel mit Talent und Handwerk zu tun, nicht unbedingt damit, ob einer gut rechnen kann. Klar, mich ärgert es auch, wenn meine Mitarbeitenden nicht rechnen können, aber deswegen will ich kein Talent verlieren. Und es gibt wirklich viele Ausnahmetalente, die großartig im Salon performen. Nur haben sie keinen Bock, zwei Tage pro Woche in die Schule zu gehen. Klar, ich kann sie auch ohne Abschluss einstellen. Aber sie wollen ja qualifiziert sein, sie wollen nicht „dumm“ bleiben. Das ist das Schöne an der Gen Z.

Und die Jugendlichen wollen Kreativität ausleben. Ich habe z. B. eine TikTokerin angestellt, die sonst überall rausgeflogen ist, weil sie dauernd am Handy hängt. Mir kommt das sogar sehr gelegen – sie soll supergerne Content für uns kreieren. Und das Schöne ist: Das geht im Friseurhandwerk. Unser Berufsbild verdient es, gepusht zu werden. Hier gilt es, Möglichkeiten finden.

Der ZV sollte sich Neuerungen mehr öffnen, versuchen, neue Konzepte zu entwickeln und dabei einen Großteil der Marktteilnehmenden mit einbeziehen. Hier bewegt sich aktuell auch wirklich etwas. Die neue „Denkfabrik Friseurhanwerk“ Anfang Februar ist ein super Schritt in diese Richtung.

Lieber Dennis, herzlichen Dank für das offene Interview und weiterhin viel Erfolg!

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