Salonschließung, Schimpf & Scham – Vom Trauma, Corona-positiv zu sein

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Foto: Shutterstock 1687803706
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Wie ein Schlag in die Magengrube - so fühlte sich das Interview mit Friseurin Mona S. an. Mona ist Friseurunternehmerin, Corona-positiv und möchte anonym bleiben. Warum? Weil ihr Salon von heute auf morgen geschlossen wurde? Nein. Weil sie besonders schwere Krankheitssymptome hatte? Auch nicht. Am Ende war es die Reaktionen ihres Umfelds – auch ihrer Kunden – auf ihre Erkrankung, die ihr ein wirkliches Trauma bescherten. Eine Geschichte wie aus dem Mittelalter, die fassungslos macht.

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Ich rufe Mona zu Hause an. Wo soll die Friseurmeisterin aus M. auch anders sein, wenn sie seit zwei Wochen unter Quarantäne steht? Ihr Salon ist geschlossen, ihre Mitarbeiter sind ebenfalls daheim. Allerdings sind die allesamt Corona-negativ getestet. Ein Segen. Den Kontakt zwischen uns hergestellt hat ein Friseurkollege, dem sie sich anvertraut hatte. Monas Stimme zittert leicht beim Sprechen. Doch es ist weniger die körperliche Schwäche, wie sich im Gespräch herausstellt. Es sind vor allem Ohnmacht und Scham, die ihr zunächst die Luft zum Atmen nehmen.

 

Mona, wie geht es dir?

Sagen wir es so: es ist gut, dass du erst heute anrufst und nicht schon früher. Die letzten Tage ging es mir nicht gut; ich hatte starke Kopfschmerzen, Halsschmerzen und Übelkeit, zum Glück aber kein Fieber mehr. Seit heute geht es mir besser. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass ich jetzt endlich weiß, dass ich offenbar niemanden angesteckt habe. Alle 50 Kontaktpersonen – alle Kunden, meine Familie und Freunde – sind negativ auf Covid-19 getestet worden.

 

Was für ein Glück. Du hast einen Salon mit vier Mitarbeitern in M. Hast du dich dort angesteckt?

Nein. Wir haben uns im Salon von Beginn der Pandemie an extrem nach den vorgegebenen Hygienerichtlinien verhalten: alle im Team haben durchweg Abstand gehalten und Maske getragen. Auch wir Friseure untereinander! Wir haben vor bzw. nach jedem Kunden unsere Hände sowie die Bedien- und Waschplätze und Werkzeuge desinfiziert und alle Maßnahmen umgesetzt, die umzusetzen waren. Und das offenbar erfolgreich, wie uns jetzt das Gesundheitsamt mit einem Lob attestierte. Die größte Erleichterung ist jedoch, dass keiner unserer Kunden und kein Teammitglied des Salons von mir angesteckt wurde. Ich selbst habe mich bei einer Freundin infiziert, deren Chefin wiederum positiv war…

Ich war vorsichtig. Sehr sogar

Warst du privat also nicht so vorsichtig wie im Salon?

Ich gehöre zu denen, die Corona bereits früh in jeder Hinsicht ernst genommen haben. Meine privaten Kontakte hatte ich wirklich auf ein absolutes Minimum reduziert, Feiern und sonstige Aktivitäten gemieden, meine Freunde wochenlang nicht getroffen. Ich war vorsichtig. Sehr sogar. Und dann war ich einen Nachmittag mit meiner Freundin unterwegs. Das war genau vor zwei Wochen, montags. Donnerstagnachmittag rief mich meine Freundin an und sagte mir, ihre Chefin sei Corona positiv. Sie selbst lasse sich jetzt testen und ich solle es auch tun. Ich hielt eine Ansteckung ehrlich gesagt für eher unwahrscheinlich, aber natürlich ging ich umgehend zum Arzt. Zum Glück bin ich mit meiner Ärztin befreundet, sodass das Testergebnis bereits einen Tag später, am Freitag, da war. Damit war klar: ich hatte Corona.

 

Shit. Du hattest also seit Dienstag asymptomatisch, also Corona positiv, aber ohne Symptome, im Salon gearbeitet…

Genau! Es war der Supergau. Im Nachhinein weiß ich, dass ich seit Mittwoch bereits leichte Symptome hatte. Nur ich konnte sie nicht zuordnen. Es waren die heißen Tage; wir hatten Klimaanlage und Ventilatoren laufen, ich hatte Kopfweh und mir taten die Knochen weh. Ich ging jedoch davon aus, dass ich mir einen Zug geholt hatte. Dass es Corona war, konnte ich ja nicht ahnen.

 

Was passierte, als du das positive Ergebnis hattest?

Ich kam natürlich sofort in Quarantäne. Bereits am Samstag wurde mein Salon geschlossen, die Mitarbeiter ebenfalls unter Quarantäne gestellt und getestet. Dem Gesundheitsamt musste ich alle dokumentierten Kundenlisten geben, damit diese Personen informiert und getestet werden konnten. Es ging Schlag auf Schlag. Zum Glück hatten wir alles akribisch festgehalten und waren handlungsfähig. Das war anstrengend, aber halb so wild gegen das, was dann kam.

Solche Reaktionen – ich habe so etwas noch nie erlebt

Ging es dir so schlecht?

Ja, aber vermutlich anders als du denkst. Ich scheine ein gutes Immunsystem zu haben und bin hinsichtlich der Symptome recht glimpflich davon gekommen. Ich hatte einige Tage Fieber und wirklich schlimme Kopfschmerzen. Das war übel, aber auszuhalten. Meine Freundin hat es deutlich schlimmer getroffen. Ihr geht es heute noch schlecht und sie hat einige ihrer Familienmitglieder angesteckt. Schrecklich: Ihr betagter Onkel ist inzwischen verstorben und ihr kleiner Cousin musste mit dem Krankenwagen in die Klinik. Es ist grausam – die Verläufe bei ihr und ihren Kontaktpersonen sind sehr schwerwiegend. Mir ging es zumindest so passabel, dass ich viele meiner Kunden noch selbst informiert und angerufen habe. Einige von ihnen Tage, bevor sie überhaupt vom Gesundheitsamt informiert wurden.

 

Wie war die Reaktion deiner Kunden?

Ehrlich: Für mich war es die Hölle! Ich wollte unseren Kunden ja einfach nur sagen, dass ich Covid-positiv sei und sie sich bitte testen lassen sollten. Das habe ich als meine unternehmerische Fürsorge angesehen. Auf das, was dann kam, war ich weniger vorbereitet – zudem ich ja auch selbst krank und angeschlagen war. Es gab nicht wenige Kunden, die mir einfach nur Vorwürfe gemacht haben. Sie sagten Dinge wie: „Oh nein, wie können Sie mir das nur antun?“, „Wie kann das nur sein?“, „Was kann ICH jetzt dafür?“ und solche Sachen. Eine Kundin hat mich allein fünfmal angerufen und lauter Fragen gestellt. Eine andere hat mir per WhatsApp ein Kannibalen-Comic geschickt – das sollte wohl lustig sein. Ein männlicher Kunde bat mich, ihn bloß nicht beim Gesundheitsamt als Kunden anzugeben; er wolle sich nicht testen lassen – was ich natürlich abgelehnt habe! Nachbarn haben meinen Bruder angerufen und gefragt, ob ich nicht besser die Fenster meiner Wohnung schließen solle. Schließlich verbreite sich das Virus ja über die Luft. Zweimal stand die Polizei vor der Tür, um zu überprüfen, ob ich zu Hause war. Es hörte nicht auf. Ich fühlte mich wie eine Aussätzige und habe mich geschämt – so etwas habe noch niemals erlebt.

Das Virus kann jeden von uns treffen

Wie geht es jetzt für dich jetzt weiter?

Heute Abend läuft offiziell meine 14-tägige Quarantäne* ab (*als Tag 1 der Quarantäne gilt der Tag, an dem Kontakt zu einer Corona-positiven Person war; Anm. der Red.). Auf meine Frage, ob ich nicht einen weiteren Test machen müsse, sagte mir die Dame beim Gesundheitsamt, dass das nicht nötig sei. Aber das ist mir nicht sicher genug; ich werde auf jeden Fall ärztlich abklären, ob ich wieder gesund bin. Im Salon arbeiten werde ich definitiv nicht vor Anfang September. Obwohl ab morgen der Salon wieder geöffnet werden darf. Das übernimmt alles mein tolles und gesundes Team – ich werde mich auskurieren und erst wieder arbeiten, wenn ich mich richtig fit fühle. Einige meiner „alten“ Kunden werde ich jedoch nicht mehr bedienen. Mir hat es derart zugesetzt, wie sie sich verhalten haben, dass ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Obwohl alle von ihnen – nachdem sie selbst ihre negativen Tests hatten – nochmals bei mir angerufen und mir gute Besserung gewünscht haben. Aber das entschuldigt nicht solch eine respektlose Reaktion. Wir müssen uns doch alle darüber bewusst sein, dass niemand einen anderen Menschen willentlich ansteckt. Und dass wir uns gegenseitig schützen müssen. Und trotzdem kann das Virus leider jeden von uns treffen.

 

Würdest du trotzdem im Nachhinein etwas anders machen?

Ja, aus heutiger Sicht würde ich unmittelbar nach dem Anruf, dass ich Kontakt zu einer möglicherweise Corona-positiven Person hatte, den Salon verlassen und in freiwillige Quarantäne gehen. Das hätte mir einige Kundenkontakte gespart. Man kann so viel Leid verhindern, wenn man sofort handelt und andere schützt. Ich werde zukünftig immer Maske tragen. Auch privat. Würde ich meine Kunden nicht mehr selbst anrufen? Vermutlich schon. Neben aller Enttäuschung und allem Schmerz habe ich durch dieses Erlebnis viel gelernt. Insofern hat es mich reicher gemacht. Und ich weiß heute, dass ich auch vieles sehr richtig gemacht habe.

 

Was rätst du Kollegen vor dem Hintergrund deiner Erfahrung?

Ich mache das Interview nur aus einem einzigen Grund: Ich möchte an alle Kollegen appellieren, weiterhin extrem vorsichtig zu sein! Desinfiziert, haltet euch an die Regeln und vor allem: tragt Maske! Mein Beispiel zeigt doch, dass wir sicher sind, wenn wir im Salon Masken tragen. Das allein ist doch ein Wahnsinnsgeschenk und ein super Signal für unsere Branche! Allerdings müssen wir uns alle daran halten. Ich habe – ohne zu wissen, dass ich infiziert war – keinen einzigen Kollegen aus meinem Team und keine einzige Kundin angesteckt. Weil ich konsequent eine Maske getragen habe! Alles andere ist kaum auszudenken. Dabei waren manche drei Stunden bei mir im Laden. Was ich noch wichtig finde: Seht zu, dass ein Mitarbeiter durchgängig eine Kundin bedient, mixt nicht. Besonders in großen Läden werden mögliche Infektionsketten sonst immer schwerer nachvollziehbar. Und eine Bitte habe ich an Friseurkollegen, die tatsächlich, wie ich hörte, ihre Seminare gegen alle Regeln ohne Masken abhalten: Riskiert es nicht! Ich fühlte mich sicher und war es nicht. Und ich habe noch Glück gehabt!

Finanzielle Unterstützung bislang unklar

Letzte Frage: Welche finanzielle Unterstützung erhältst du für die Schließungszeit?

Ganz ehrlich? Darum muss ich mich erst morgen kümmern. Mir fehlte bislang einfach die Kraft dazu. Jetzt habe ich den Kopf dafür frei, weil ich weiß, dass alle meine Kontaktpersonen gesund sind. Ich hatte zum Glück Rücklagen, an die ich rangegangen bin. Mir ist nur bekannt, dass es Ländersache ist, welche genaue finanzielle Unterstützung Selbstständige in solchen Fällen erhalten. Die Anträge für diese „Corona Förderprogramme“ muss ich jetzt stellen. Keine Ahnung, was dabei rauskommt. Im Moment fühle ich mich einfach nur erleichtert, dass für uns alles noch so gut ausgegangen ist und drücke die Daumen für meine Freundin und ihre Familie, dass sie schnell gesund werden.

 

Ich danke dir sehr für das Gespräch, Mona. Alles Gute.

 

Interview: Simone Frieb