Wir müssen was ändern! Aber wo fangen wir an? Zweiter Teil.

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Sinniert über die (Friseur-)Welt und sucht Lösungen: Andi Ehrle
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Sinniert über die (Friseur-)Welt und sucht Lösungen: Andi Ehrle

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Angst. Frust. Doch ein immenser Wille zum Überleben. Andreas Sebastian Ehrle strauchelt. Wie derzeit viele Menschen, die sonst eigentlich eher Optimisten sind, fragt er sich: Wo lohnt es sich zu kämpfen? Und wo müssen wir einfach atmen und abwarten? Teil 2 seiner Gedankenreise.

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Die Tage war ein Beauty Doc bei uns, Stammkunde, aber auch ein komischer Vogel. Er ist an der Kasse dann richtig temperamentvoll geworden – laut, mit rotem Kopf – und fand die Preisanpassung von 40€ auf 46€ für seinen Haarschnitt nicht wirklich cool. Ein Beauty Doc, dachte ich mir. Wie schon so oft. Von den Reichen lernst du eben das Sparen. Von nichts kommt noch weniger. Trinkgeld ist hier Fremdwort. Trinkgeld brauchen wir aber! Meint ihr, der meckert beim Bäcker, im Supermarkt oder, wenn sein 911er beim Kundendienst ist, auch über den Preis? Ist Handwerk am Kopf nichts wert? So scheint das bei uns. Ist ja nur das Ding, das da auf deinem Hals hockt. Da wachsen ein paar Haare raus. Um die geht’s! Zum Glück haben wir aber echt viele tolle, treue Kund*innen. Die schätzen unsere Arbeit und uns. Danke dafür an euch! Da mache ich manchmal dann auch noch den alten Preis aus Respekt, wenn jemand seit über 25 Jahren mit mir ist. Aber auch das muss ich leider nun ändern. So leid es mir tut.

Was wird 2023?

Was ich im Moment richtig krass finde, ist, dass echt verdammt viele Kund*innen ihre Termine, die sie ausgemacht haben, nicht wahrnehmen. Sie sagen nicht ab, kommen einfach nicht und wenn wir sie dann anrufen, geht keiner ran. Was ist das denn für ein Verhalten bitte? Machen sie das, weil sie keinen Bock haben, es vergessen haben oder weil die Kohle knapp ist und es ihnen peinlich ist, abzusagen? Sorry, ich checke das grade echt nicht. Wie ist es bei euch? Kommentare gerne unten im Feed dazu. Mein Team und ich haben entschieden, dass wir den Weg mit der Preiserhöhung trotzdem gehen. Es ist ein sehr enger Weg, hoch oben am Gipfel, der Tanz mit dem Teufel. Aber es gibt ja auch nur zwei Wege: Der eine ist, zuzumachen bevor wir ins Minus gehen. Der andere ist, den Preis hochzusetzen und zu hoffen, dass es aufgeht. Das wird sich zeigen, wer und wer nicht im nächsten Jahr noch kommt. 2023 wird heftig für alle von uns. Es wird die Branche erneut cleanen und es wird uns leider sein wahres, kompromissloses Gesicht zeigen. Lasst uns dafür kämpfen, dass es unsere Läden weiter gibt. Was ist sonst mit unseren Kolleg*innen, was wird sonst aus uns? Das Schlimme daran ist für mich, dass wir es abwarten müssen und selbst nicht wirklich Einfluss darauf nehmen können.

Und unsere Kinder?

Ich weiß, dass ich alleine die Welt nicht retten kann und das ist auch nicht mein Job. Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir alle zusammen etwas bewegen können! Leute, wir müssen alle vom bequemen Sofa runter! Es geht nicht immer nur um uns! Hierbei gehts ums Überleben. Genau genommen sogar um das Weiterleben auf diesem Planten. Denn was ist mit unseren Kindern? Auf welcher Welt lohnt es sich denn für sie zu leben? Ich höre in letzter Zeit so oft, dass es doch keinen Sin mehr macht, Kinder in diese Welt zu setzen. Das macht mich traurig, das macht mich wütend! Denn es stimmt nicht: Das Leben ist wunderbar. Meine Kinder zu erleben ist das Heftigste, das ich erleben darf. Es macht mein Leben zum Leben. Ich würde mir wünschen, dass wir eine Politik haben, die mit Ehrlichkeit und Transparenz agiert und vor allem so kommuniziert, dass ich Entscheidungen nachvollziehen kann.

Aufwachen & anpacken

In meiner Kindheit fühlte sich die Welt irgendwie noch heil an; sicher gab es da auch mal hier und da mal was, das Sorgen bereitete. Aber so wie im Moment? So war es damals nie! Wie auf einer rosa Wolke eben. Haben das unsere Kinder nicht auch verdient? Dabei ist doch klar: Wir selbst haben zu vielen der derzeitigen Brandherde beigetragen, weil wir respektlos mit den Ressourcen, die wir geschenkt bekommen haben, umgegangen sind. Umwelt- und Klimaschutz sind auch für uns Friseur*innen nicht nur Kür, sondern verdammte Pflicht! Das müssen wir kapieren. Bitte versteht mich richtig: Ich möchte nicht nur Frust ablassen, sondern mit meinen Zeilen und meinen Worten Menschen zum Nachdenken und zum Handeln zu bringen.

Keine Alternativen

Denn wenn uns das nicht gelingt – wo enden wir dann? Sollen wir auf einem völlig überhitzten, kaputten Planeten arbeiten, bis wir 75 sind? Oder bis wir nicht mehr stehen können? Sollen wir uns noch einen zweiten, oder besser noch dritten Job dazu suchen? Ich möchte mich, wenn ich alt bin, nicht fragen, warum ich in den Jahren, wo es mir noch gut ging, nicht intensiver gelebt habe! Ich möchte jetzt leben. Ohne Angst vor dem Morgen. Ohne Angst, dass ich irgendwann auch mit Adidiaslatschen und Baseballcap am Pfandautomaten stehe. Auch wenn das derzeit privat mein Lieblingsstyle ist. Wir müssen alle anfangen, was zu ändern. Aber wo beginnen? Am bestem erst mal bei uns selbst.

Euer Andi