„Menschen brauchen Menschen, zum Lernen – keine Computer!“ Stimmt das noch?

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Folgte seinem Instinkt - und hat Erfolg damit: Jens Engelhardt
Foto: Ronny Barthel
Folgte seinem Instinkt - und hat Erfolg damit: Jens Engelhardt

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Azubis digital ausbilden? “Vergiss es!“, lautete die Abfuhr, die Friseurunternehmer Jens Engelhardts von seiner Mutter Yvonne erhielt. Warum die erfahrene Inhaberin einer der renommiertesten Meisterschulen der Schweiz inzwischen Abbitte geleistet und sogar das Erfolgsmodell ihres Sohnes adaptiert hat? FMFM Artist Jens plaudert in seinem Kommentar aus den Nähkästchen.

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„Ja, es stand schon mal besser um die Branche. Deutlich besser. „Die Jungen wollen nicht mehr! Sie sind respektlos und haben kein Durchhaltevermögen“, hört man nicht nur in den sozialen Medien immer häufiger. Auch die Zeitungen pfeifen es inzwischen lautstark von den Kioskdächern. Und es ist tatsächlich offensichtlich: Die Azubi-Zahlen sind niedrig, die Arbeitslosenzahlen der Jungfriseurinnen dagegen hoch – und alle schreien nach Fachkräften, die nirgendwo zu finden sein sollen.

Gute Friseure sind begehrt

„Jens, es gibt einfach keine guten Friseure mehr auf dem Markt“, stöhnen viele Kollegen. Und ja, das glaube ich auch! Die guten Friseure sind nämlich nicht auf dem Markt, sie arbeiten in den Salons! Und wenn diese guten Friseure tatsächlich mal einen Salonwechsel planen, dann wählen sie den neuen Salon eigenständig selbst aus. Sie bewerben sich vielleicht bei ein oder zwei Wunschadressen und – schwupps – sind sie versorgt. Und das, ohne je „auf dem Markt“ gewesen zu sein! Ich verstand lange nicht, wo das Problem meiner Kolleginnen und Kollegen sein sollte. Ich selbst bin im Salon meiner Eltern und Großeltern aufgewachsen und habe das Glück gehabt, ein bewährtes Ausbildungskonzept mitgenommen zu haben, das ich natürlich anschließend in meinen eigenen Salons eingesetzt habe. Seit jeher kannte ich weder Fachkräftemangel noch die Bewerber-Odyssee meiner Kollegen. Meine Azubis kamen, sahen und blieben, und so wuchsen wir und das Unternehmen über die Jahre konstant.

Hohe Erwartungen

Ja, ich weiß: Azubis kosten viel Zeit und einiges an Nerven und Geld. Dass einiges an Arbeit anstehen würde, war mir durchaus bewusst, als ich 2018 wieder einmal drei Azubis eingestellt hatte. Wir bilden in der Region seit vielen Jahren plakativ die “besten Stifte” aus. Also erwarten sowohl die Azubis, die Eltern als auch unsere Kundschaft und zukünftigen Interessenten eine Qualitätsausbildung. Da ich inzwischen mit zwei Salons zeitlich und räumlich aufgeteilt bin, wird es noch etwas schwieriger, dieser hohen Erwartungshaltung und auch unserem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Obendrein habe ich inzwischen drei Kinder und meiner Familie versprochen, meine Vaterpflichten unter anderem in Form von Sommerferien auch mit einzuplanen. Was also tun?

Neuer Bedarf

Vor dem Hintergrund dieser Herausforderung entstand meine erste Version der digitalen Ausbildung für Coiffeure: Ich stellte mir die Frage: „Was ist, wenn ich meine Lernenden mit Online-Videos ausbilde!? Sie könnten dann die Lektion so oft schauen, wie sie wollen, und ich kann mich um Salon und Kunden (oder auch die Familie) kümmern“, dachte ich mir – und erzählte meiner Mutter davon. Die hielt von dieser Idee erst einmal gar nichts! Dafür muss man wissen: Meine Eltern führen seit über 20 Jahren eine der erfolgreichsten Meisterschulen und Coiffeur-Akademien der Schweiz. Ihre Meinung war mir also extrem wichtig – wäre sie nur besser ausgefallen. Aber statt mich zu feiern, meinte meine Mutter nur: „Vergiss es, das funktioniert nicht – Menschen brauchen Menschen, um zu lernen – keine Computer!“ Trotz dieses Urteils ließ mich meine Idee nicht los. Denn ich selbst hatte 2008 bereits via Web ein Studium in Online-Marketing absolviert und abgeschlossen. Das Konzept: erst Online-Videos, dann Aufgaben umsetzen, dem Dozenten vorlegen, weiter üben und in Live-Seminaren vor Ort das Ganze perfektionieren. „Blended Learning“ nennt sich diese Lernform in Fachkreisen.

Digital & Analog im Mix

Also habe ich dieses spannende Experiment einfach gewagt und diese Lernstrategie auf meinen Salonnachwuchs übertragen: meine Azubis „auf Autopilot“ mit regelmäßigen Online-Videos zu füttern und danach die Ergebnisse ihrer Arbeiten im Salon kontrollieren. Diese analoge Überprüfung vor Ort halte ich für sehr wichtig, denn natürlich geht es nicht ohne das Feedback und die Interaktion im Salon. Gedacht, gesagt, getan: Ich habe also die Inhalte der ersten zwei Monate per Video vermittelt. Davon die ersten drei Wochen sogar vom Strand in Portugal. Also nicht wirklich ICH selbst, sondern meine digitale Version. Ich war schon etwas unsicher, ob es tatsächlich funktioniert – sollte meine Mutter vielleicht doch Recht behalten?

Win-Win

Nach der Testphase über acht Wochen aber war ich positiv überrascht: Die Azubis lieben es! Es geht ja nicht darum, dass sie die Videos als vollwertigen Ersatz akzeptieren – sie ergänzen das Lernen ja nur und bilden die Basis. Dies leisten sie aber offenbar so begeisternd, dass meine Azubis die digitalen Inhalte der Live-Performance sogar vorziehen und mich fragten, ob wir nicht noch mehr solcher Videos machen könnten. Die Vorteile dieses Digital-Analog-Mixes sprechen mehr als für sich: Die Azubis können eine Lektion mehrfach anschauen, in ihrem Tempo, auf Pause drücken, um Notizen zu machen, zurückspulen, um nochmal genau hinzuschauen. Dann setzen sie im Salon das Gelernte um, mit Unterstützung von mir und dem Team. Heißt für mich als Ausbilder: Ich habe hochmotivierte Azubis, mehr Zeit für Kunden, Salon und Umsatz – oder auch Freiraum für die Familie. Das ist Win-win!

Azubis lieben Flexibilität

Selbst im Lockdown letztes Jahr haben wir die Ausbildung fortgesetzt, als wäre nichts gewesen; mit Fotos und Videos aus den Küchen und von den Balkons der Azubis. Ich kann Friseuren aus Leidenschaft nur ans Herz legen: Bildet aus! Am besten digital. Es gibt kein besseres Investment in dein Unternehmen, als das in die Fachkräfte, die darin arbeiten. Ach ja, übrigens ist auch meine Mama inzwischen überzeugt von „Blended Learning“: ihre Meisterschule gibt’s jetzt auch digital.“

 

 

Über FMFM Artist Jens Engelhardt: Jens ist Friseur und Barbier in vierten Generation und führt zwei eigene Salons in der Schweiz. Als Gründer der Cleverhair Academy setzt er voll auf die digitale Revolution in der Friseur Aus- und Weiterbildung. In seinem kostenlosen 90-minütigen Online-Training „Azubis clever ausbilden“ berichtet Jens von seinen Erfahrungen und teilt sein exklusives Ausbildungskonzept.

Weitere Infos unter: www.Azubi.cleverhair.de

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